Die Akademie der bildenden Künste Wien setzt sich kritisch mit ihren Ehrenmitgliedern auseinander, deren Liste bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts zurückreicht. Der heute fast vergessenen Bildhauerin Teresa Feodorowna Ries wird in einem ersten Schritt nach einem Beschluss des Senats der Akademie die Ehrenmitgliedschaft posthum zuerkannt. Gleichzeitig erfolgt die Aberkennung der Ehrenmitgliedschaften des Malers und Grafikers Ferdinand Andri, des Bildhauers Josef Müllner, des Schriftstellers Josef Weinheber und des Malers Arthur von Kampf aufgrund ihrer Rolle im Nationalsozialismus. Als erster öffentlicher Beitrag einer wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Umgang der Akademie der bildenden Künste Wien mit ihrer Vergangenheit findet am 10.5.2023 um 19 Uhr eine Veranstaltung im Sitzungssaal des historischen Akademiegebäudes am Schillerplatz statt. Nach einer Einführung von Rektor Johan F. Hartle hält der Historiker Oliver Rathkolb einen Vortrag über Baldur von Schirach, Reichsleiter und Gauleiter von Wien, und dessen Rolle in der nationalsozialistischen Kulturpolitik.
In der Liste der akademischen Ehrungen nehmen die sogenannten Ehrenmitglieder, also Personen, die sich durch herausragende Leistungen in einem bestimmten Bereich Verdienste um die Akademie erworben haben, einen besonderen Platz ein. Es handelt sich in den meisten Fällen um männliche Politiker, Mäzene, Künstler oder Wissenschaftler, die zum Zeitpunkt der Ehrung hohes Ansehen genossen.
„Ehrungen müssen regelmäßig neu bewertet werden, und diesen Prozess möchten wir an der Akademie der bildenden Künste Wien nun endlich mit ersten konkreten An- und Aberkennungen starten“, so Rektor Johan F. Hartle, der betont, dass es ihm aber „ein besonderes Anliegen ist, dass dieser Prozess transparent abläuft und unsere laufenden Recherchen und letztlich auch getroffene Entscheidungen künftig für die Öffentlichkeit nachvollziehbar sind.“
Erste Entscheidungen
Eine Arbeitsgruppe, bestehend aus Rektor Johan F. Hartle, den Archivarinnen der Akademie Eva Schober und Ulrike Hirhager, der Provenienzforscherin Nicole-Melanie Goll, Angelika Schnell bzw. Andreas Spiegl (Senatsvorsitzende_r) und dem Studierenden Johannes Rips, hat sich in einem ersten Schritt auf die während der NS-Zeit bzw. der unmittelbaren Nachkriegszeit verliehenen Ehrenmitgliedschaften fokussiert. Diese intensive Beschäftigung mündete in eine Zu- und vier Aberkennungen von Ehrenmitgliedschaften durch den Senat der Akademie der bildenden Künste Wien. Die vier Aberkennungen wurden ursprünglich von studentischen Senatsmitgliedern initiiert, in weiterer Folge durch die von der Arbeitsgruppe vorangetriebene Recherche weiter argumentiert und dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.
Teresa Feodorowna Ries
Zuerkennung der Ehrenmitgliedschaft der Akademie der bildenden Künste Wien
Die neueste Zuerkennung einer Ehrenmitgliedschaft geht an die Bildhauerin Teresa Feodorowna Ries (1866–1956). Sie erhielt ab 1894 Privatunterricht bei Edmund Hellmer, damals Professor an der Akademie ̶ Frauen waren erst 1920/21 zum Kunststudium zugelassen ̶ , und stieg um 1900 zu einer geschätzten Künstlerin der Wiener Gesellschaft auf. Mit Ausstellungen in der Wiener Secession, Beiträgen bei der Weltausstellung 1900 in Paris, der internationalen Kunstausstellung in Venedig 1903 und 1910 und der Weltausstellung in Turin im Jahr 1911 stieg auch ihre internationale Bekanntheit. Es folgten zahlreiche Ehrungen, ein eigenes Atelier in der Salmgasse 1 im 3. Wiener Gemeindebezirk und im Gartenpalais Liechtenstein. Ries´ künstlerische Arbeit, aber auch ihr gesellschaftliches Leben stießen auf großes mediales Interesse. 1931 wandte sich die Künstlerin an den damaligen Rektor der Akademie der bildenden Künste Clemens Holzmeister, um ihm einen Aktkurs speziell für junge Frauen vorzuschlagen, für dessen Leitung sie sich selbst anbot. Das Professorenkollegium wollte auf diesen Antrag nicht näher eingehen und hielt es auch nicht für notwendig, Teresa Feodorowna Ries überhaupt auf ihren Vorschlag zu antworten.
Die SS beschlagnahmte ihr Atelier 1938, sie wurde mit einem Berufsverbot belegt und flüchtete schließlich im August 1941 nach Lugano in der Schweiz.
Zahlreiche ihrer Werke wurden bereits 1938 und während der folgenden Kriegsjahre zerstört. 1949 wurden über dreißig Fotografien von Arbeiten Teresa Feodorowna Ries’ in das Inventar des Kupferstichkabinetts der Akademie der bildenden Künste Wien aufgenommen. Die Künstlerin starb am 16. Juli 1956 – weitgehend vergessen – in Lugano.
Zwei ihrer bekanntesten Skulpturen, Somnambule und Hexe, Toilette machend zur Walpurgisnacht, wurden 1974 anlässlich der Wiener Internationalen Gartenschau (WIG) in Oberlaa aufgestellt und dort in weiterer Folge dem Verfall und dem Vandalismus preisgegeben. Heute befinden sich einige ihrer noch vorhandenen Werke im Wien Museum und sind Gegenstand eines Restitutionsverfahrens.
2021 traten Teresa Feodorowna Ries und ihr Werk erneut im Rahmen zweier Ausstellungen im historischen Gebäude der Akademie der bildenden Künste Wien am Schillerplatz ins Bewusstsein einer breiteren Öffentlichkeit. In der Ausstellung Un Paradiso Amaro / Bitter Paradise beschäftigten sich die Künstler_innen Anna Bochkova, Valerie Habsburg, Anka Lesniak, Mika Azagi, Judith Augustinovič und Sami Nagasaki mit dem Leben und künstlerischen Wirken der Bildhauerin. Exponaten aus dem Nachlass der Künstlerin und ihrer bekanntesten Skulptur, Hexe, Toilette machend zur Walpurgisnacht aus dem Jahr 1895, wurden die künstlerisch-forschenden Arbeiten der jungen Künstler_innen gegenübergestellt. Eine historische Fotografie der Skulptur Hexe, Toilette machend zur Walpurgisnacht aus den Beständen des Kupferstichkabinetts wurde in der Wiedereröffnungsausstellung Hungry for Time, kuratiert vom Raqs Media Collective, gezeigt.
Die posthume Verleihung der Ehrenmitgliedschaft an Teresa Feodorowna Ries soll ein Zeichen gegen das Vergessen der Künstlerin setzen. Bis 1836 stammten weibliche Ehrenmitglieder fast ausschließlich aus dem Kaiserhaus, nach 1836 wurde keine Frau mehr zum Ehrenmitglied ernannt bis zur Verleihung an Margarete Schütte-Lihotzky im Jahr 1994. Insgesamt weist die Liste der Ehrenmitglieder nach 1836 neben Ries und Schütte-Lihotzky nur drei Frauennamen auf: Louise Bourgeois, Maria Lassnig und Friederike Mayröcker.
Josef Müllner
Aberkennung der Ehrenmitgliedschaft der Akademie der bildenden Künste Wien
Der Bildhauer Josef Müllner (1879–1968) war ab 1910 Professor an der Akademie und leitete bis 1945 die allgemeine Bildhauerschule und bis 1948 die Meisterschule für Bildhauerei. Er war über mehrere Amtszeiten Prorektor und Rektor der Akademie und schuf in den 1920er-Jahren zahlreiche politische Denkmäler im öffentlichen Raum, wie etwa die Siegerstatue vor dem Theseus-Tempel 1923, 1925 den Siegfriedskopf, 1926 das Karl-Lueger-Denkmal und 1940 die Hitler-Büste für die Aula der Akademie. Der von den Nationalsozialisten mit zahlreichen Auszeichnungen bedachte Müllner fand auch Aufnahme in die Liste der „Gottbegnadeten“ des Reichsministeriums für Volksaufklärung und Propaganda. Kurz nach Kriegsende war er als Teil des Professorenkollegiums an der Aberkennung der Ehrenmitgliedschaften von „politischen Personen“, die anlässlich der 250-Jahr-Feier der Akademie 1942 ernannt worden waren, beteiligt. Müllner wurde wenig später des Dienstes enthoben. Im November 1946 wurde Müllner „zufolge seines hohen Alters und seiner polit[ischen] Belastung“ nicht mehr als Hochschulprofessor übernommen, sondern in den Ruhestand versetzt, blieb jedoch bis zur Nachbesetzung des Lehrstuhls für Bildhauerei weiter eingesetzt. Im Sinne des §17, Abs. 3 des Verbotsgesetzes 1947 war Müllner „minderbelastet“. 1948 wurde Müllner die Ehrenmitgliedschaft verliehen, die ihm nun aufgrund seiner bedenklichen Rolle im Nationalsozialismus aberkannt wird.
Weiters aberkannt werden die Ehrenmitgliedschaften des Malers und Grafikers Ferdinand Andri (1871–1956), des Schriftstellers Josef Weinheber (1892–1945) und des Malers Arthur von Kampf (1864–1950). Die Aufrechterhaltung dieser Ehrenmitgliedschaften ist nach eingehender Recherche nicht länger haltbar, da die genannten Personen alle aktiv an der NS-Herrschaft, deren ideologisches Gedankengut sie teilten und weiter verbreiteten, partizipierten.
Historiker Oliver Rathkolb zur nationalsozialistischen (Un-)Kulturpolitik
Am 10.5.2023 um 19 Uhr begrüßt Rektor Johan F. Hartle und berichtet über die aktuelle Beschäftigung der Akademie mit dem Thema der Ehrenmitgliedschaften aus der NS-Zeit. Anschließend spricht der Historiker Oliver Rathkolb über Baldur von Schirach: ,Die Pompadour von Wien‘. Nationalsozialistische (Un-)Kulturpolitik in Wien und gibt Einblicke, wie der Reichsleiter und Gauleiter von Wien auf perfide Art und Weise seine Terrorpolitik gegen Jüd_innen, „Asoziale“ sowie Wiener Tschech_innen hinter einem Feuerwerk an geförderter Kunst- und Kulturpolitik versteckte, die scheinbar auch in Fragen der Gegenwartskunst dem NS-Mainstream widersprach. Er spielte mit der „Kulturgroßmachtvorstellung vieler Wiener_innen“ und begründete damit den „Mythos Schirachs als ‚Schutzherr‘ der Wiener Kulturszene gegen alle Fakten“.
Oliver Rathkolb ist Professor für Neuere Geschichte mit besonderer Berücksichtigung der Zeitgeschichte am Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien und erhielt zuletzt auf der Leipziger Buchmesse den Deutschen Musikeditionspreis „Best Edition 2023“ für seine Monografie Carl Orff und der Nationalsozialismus (Schott Music).