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Was uns angeht: Zuschauen als ethische Relation

Title Was uns angeht: Zuschauen als ethische Relation
Doctoral Candidate Mag.phil. Martina Gimplinger
Study Program Dr.-Studium der Philosophie; Kunst u. kulturwiss. Studien (Stzw)
Abstract In meinem Dissertationsprojekt wird das Zuschauen selbst zum Ort an dem die Aufführung ihren Ort hat: Das Wie des Zuschauens und seine politische Bedeutung werden in Resonanz mit bestimmten zeitgenössischen Theaterarbeiten untersucht – u.a. mithilfe des Konzepts der Zeugenschaft (Margarita Palacios) sowie mithilfe von Theorien, die über lineare Konzeptionen von Zeit bzw. Zeitgenossenschaft hinausgehen (Elizabeth Freeman, Rebecca Schneider) und nichtlineare Formen von Zeit und Geschichte beschreiben (bspw. anhand des Nachlebens, des Trauerns oder des Unbewussten). Das Wie des Zuschauens beziehe ich hierbei auf die wechselseitige Durchdringung der jeweilig relational angelegten Sphären von Nicht-Erzählbarkeit und Nicht-Vergessen-Können, die sich im Verhältnis von Darstellungsweisen auf der Bühne und Wahrnehmungsweisen der Zuschauer herausarbeiten lassen. Sobald etwas erzählt werden könne, könne es laut Psychoanalytiker Werner Bohleber auch vergessen werden – dies gilt für die ausgewählten Theaterarbeiten von Clara Furey, Faustin Linyekula, Ellen Furey und Malid Nashad Sharpe sowie Romeo Castellucci nicht oder anders: Sie wirken nach, leben fort und ragen in meine Gegenwart hinein, kurz: Sie bleiben. Sie bleiben als affektive, imaginäre und körperliche Reste und Spuren. Was machen Spuren und Reste, die nicht gänzlich zu Geschichte zu gerinnen vermögen, mit meiner Art des Zuschauens und der ihr inhärenten Form von Relationalität? Die ausgewählten Theaterarbeiten tragen die Spuren der einschneidenden Gewaltereignisse der Geschichte und sind dementsprechend von einem Problem der Darstellung von Nicht-Darstellbarem gekennzeichnet. Das Problem der Darstellung von Nicht-Darstellbarem kann zu einer potentiellen Transformation der Beziehung zu Zeit, zu Raum, zu Geschichte, Erinnerung und Vergangenheit, und zu Anderen führen (v.a. Emmanuel Lévinas, Edouard Glissant). Meine These lautet, dass die ausgewählten Theaterarbeiten vor allem durch Einsatz einer bestimmten Form von Zeitlichkeit zu einer ästhetischen Ausnahmeerfahrung werden können, die nicht gänzlich zu Geschichte gerinnt. Die Potentialität des „Nicht-Gänzlich-Zu-Geschichte-Gerinnens“ steht mit einer besonderen Form von Zeitlichkeit in Verbindung, die sich auf räumlich und zeitlich eingrenzbare Gewaltereignisse der Geschichte bezieht, deren traumatische Spuren jedoch nicht in Raum und Zeit abgrenzbar sind. Das spezifische Wirken einer traumatischen Erinnerung entsteht mit der Nichtkommunizierbarkeit einer Verletzung. Sie bezieht sich nicht auf etwas, das in der Vergangenheit zeitlich und räumlich abgegrenzt ist, „sondern auf etwas das ist, vielleicht mehr: etwas, das nicht ist." (Martina Kopf, Trauma und Literatur). Die ausgewählten Theaterarbeiten berühren auf je unterschiedliche ästhetische Weisen, im Spannungsverhältnis von indirekten und direkten Verweisen, kollektive, traumatische Erinnerungen und Gedächtnisse – sie berühren was ist und nicht ist. Bei eingehender Betrachtung der einzelnen, ausgewählten Theaterarbeiten fällt eine Gemeinsamkeit im zeitlichen Arrangement auf: Jede der ausgewählten Theaterarbeiten vermag sich einer übergangslosen, vereinheitlichenden und vorwärts laufenden Vorstellung von Zeit zu widersetzen: Etwa durch ein Pausieren und Anhalten von Bewegung, durch den Einsatz von Tableau Vivants und lebenden Stills oder durch eine schier endlose Wiederholung von Bewegungsabläufen. Diese besondere Form von Zeitlichkeit erlaubt ein Fühlen und Denken, Leben und Zuschauen in Relation: In Relation zu Geschichte, die nicht Geschichte ist, zu Vergangenheit, die nicht vergangen ist – zu simultanen Zeiten, die multipel, heterogen und wiederkehrend sind. Das hieße: Zuschauen in Relation zu einer Zeit, die mich fortwährend angeht, ohne in einem singulären, unmittelbaren Hier und Jetzt zu verschwinden.
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