Einladung zur Defensio von Majda Turkić
Das Institut für Kunst und Kulturwissenschaften der Akademie der bildenden Künste lädt herzlich zur Defensio von Majda Turkićs Dissertation Den jüngeren Trend der Urbanisierung in Bosnien und Herzegovina neu denken: Postkriegsrekonstruktion und die Suche nach einer verlorenen Identität ein.
Mitglieder des Prüfungssenats sind: Univ.-Prof. Mag. Dr. Anette Baldauf (Vorsitzende), Univ.-Prof. Mag. Christian Kravagna (1. Betreuer) und Prof. Dr. Gabu Heindl (externe Gutachterin, Universität Kassel).
Abstract
Die zeitgenössischen urbanen Strömungen in Bosnien und Herzegovina (BiH) in der mittlerweile 24 Jahre währenden Nachkriegszeit und ihrer archtektonischen Neuordnung werden vor allem als Nachspiel der spezifischen Vergangenheit des Landes betrachtet. Das halbkoloniale Erbe des Osmanischen und des Habsburgerreiches und die sozialistische Vergangenheit als eine von sechs jugoslawischen Teilrepubliken beeinflussten die städtische Entwicklung, die mehr von übergeordneten politischen Beziehungen diktiert wird als durch umfassende kulturelle oder architektonische Politik. Der Bürgerkrieg der jüngeren Vergangenheit endete mit dem Engagement der internationalen Gemeinschaft und der Unterzeichnung des Friedensvertrags von Dayton, der ein einzigartiges pluralistisches Modell schuf, das die Nationalismen am Balkan förderte. Die architektonische Neuordnung und die städtische Entwicklung sind gekennzeichnet durch die ungesetzliche, ungehinderte, unkontrollierte und immer schnellere Entwicklung von Wohngebieten, der Vernachlässigung von Denkmälner und Einrichtungen aus der sozialistischen Zeit und die ethnische Aufladung diverser religiöser Objekt. Einige Architekten stellen keinen sichtbaren Trend in der architektonischen Entwicklung nach 1995 fest und sehen desorganisierte und anarchische Neuordnung als ihren Hauptbestandteil.
Diese These versucht, Fragen zur Nachkriegsneuordnung und zu Urbanisierungsprozessen zu beantworten, ebenso die nach verantwortlichen politischen Kräften und Interessen hinter der aktuellen städtischen Planung, und wie sich das auf die spezifische postkoloniale Geschichte des Landes bezieht. Das Hauptziel ist, jene zeitgenössischen Urbanisierungs und Neuordnungskonzepte zu betrachten, die die Nachkriegsperiode kennzeichnen. Um das zu tun, dekonstruiert die These die Geschichte der Region und die moderne Geographie, die in der jüngeren Vergangenheit die Region als “schwach” bezeichnet haben, außerhalb des “echten” Europa, als Region, die tendenziell kontrolliert und beherrscht wird. Diese These setzt BiH in den unorthodoxen Kontext kolonialer und postkolonialer Theorie, und was diese in Bezug auf ethnische Zugehörigkeit und imperialistische Herrschaftsformen bedeutet.
Die erste Hypothese posuuliert die Verbindung einer Habsburg-Nostalgie mit dem Diskurs der Selbstviktimisierung, einem Jahrhunderte alten Gefühl einer balkanischen Unterlegenheit und Andersheit. Diese beiden Phänomene könnten jene behindernden Kräfte sein, die die Menschen in BiH in einen Teufelskreis der Stagnation ziehen. Weiters ist es Ziel dieser These, über die aktuellen politischen Prozesse aufzuklären, die BiH als gleichberechtigten Teil Europas projizieren, während der tatsächliche und ewige europäische Integrationsprozess den oberflächlichen Beobachter in Bezug auf das Land und seine Geschichte täuschen kann. Diese These stellt das infrage, genauso wie die Beziehungen zwischen BiHs turbulenter Vergangenheit und seiner idiosynkratischen Gegenwart. Sie stellt die Frage, warum es zu diesem Aufruf kommt und inwiefern sich die Vergangenheit in rezenteren Nachkriegsereignissen wiederspiegelt.
Die Methodik greift auf mehrere Zugänge zur qualitativen Forschung zurück, um die Hypothesen aufzubauen und zu überprüfen, vor allem auf Ethnographie und Phänomenlogie, um die Interaktion zwischen Architekten, Soziologen und Philosophen mit der Kultur der Urbanisierung und der Architektur der Orte, an denen sie leben, zu verstehen. Mithilfe von Grounded Theory wurden Muster in den Kategorien aufgespürt, an denen die Hypothesen überprüft wurden, um eine narrative und substantive Theorie zu schaffen. Als Teil der Familie der kritischen Studien ist es Ziel dieser These, Machtbeziehungen zu analyisieren, kritisieren und infrage zu stellen.
Ihr Hauptbeitrag besteht darin, die BiH Identität in Bezug auf architektische und städtische Entwicklung erneut zu hinterfragen, insbesondere Privatisierung, internationale Investments und die steigende Zahl religiöser Bauten, die Umwidmung früherer öffentlicher Räume in private oder kommerzielle Räume. Sie erweitert die Literatur um eine Diskussion des Postkolonialism am Balkan und trägt zur originären qualitativen Forschung durch Interviews mit den Hauptakteuren in der städtischen Entwicklung des Landes bei. Derart trägt die Forschung zur ethnographischen und anthropologischen Analyise des ehemaligen Jugoslawien bei und zielt auf die Entwicklung des steigenden Nationalismus und religiöser und ethnischer Selbstidentifikation ab.
Kurzbiographie
Majda Turkić hat an der Akademie der Bildenden Künste in Wien in der Klasse Post Conceptual Art von Marina Gržinić studiert. In ihrer Arbeit verwendet sie eine spezifische Methodik und einen theoretischen Ansatz, die Perspektiven spezifischer Künstler reflektieren und das Zusammenspiel des historischen und anthropologischen Zusammenhangs infragestellen. Sie ist Doktoratskandidatin mit dem Dissertationsthema “Re-thinking the recent urbanization trends in Bosnia and Herzegovina: postwar reconstruction and the pursuit of the lost identity”auf der Akademie der Bildenden Künste in Wien in der Klasse von Christian Kravagna. Weil ihre Forschung ein Naheverhältnis zur Architektur hat, sind architektonische Objekte ein häufiger künstlerischer Schwerpunkt in ihrer Photographie. Majda hat Einzel- und Gruppenausstellungen in Sarajevo, Berlin, Wien, Israel und den USA gemacht.
Die Defensio wird in englischer Sprache und in Raum M13a stattfinden.
Wir freuen uns sehr Sie bei der Defensio begrüßen zu dürfen.