Gemaltes Gift. Zur Idee der Malerei als ‚Pharmakon‘ im 17. Jahrhundert
Vortrag von Prof. Dr. Karin Leonhard, Kunstwissenschaft an der Universität Konstanz im Rahmen der Vortragsreihe Material transportiert Inhalt.
Der Vortrag wird auf Deutsch gehalten.
Wir wissen, dass das Wort pharmakon im Griechischen sowohl „Heilmittel“ wie „Gift“ heißen kann, aber es bedeutet auch „Malerei“ oder „Farbe“, und zwar „nicht die natürliche Farbe, sondern die künstliche Färbung, den chemischen Farbstoff, der das in den Dingen gegebene Chromatische nachahmt“. Sokrates beispielsweise verwendet das Wort ausdrücklich, um die Farbe zu bezeichnen, die Maler verwenden: Pigmente sind pharmakeia “die den nachgeahmten Dingen ähneln und aus welchen das Bild besteht”. Da die Polysemie des Wortes gleichermaßen eine Übersetzung als “Arznei”, “Zaubertrank”, “Droge”, “Heilmittel”, “Gift”, „Tinktur“, “Farbe”, „Pigment“, “Schminke” etc. nahelegt, ist man bereits zu dem Schluss gekommen, das Gemälde selbst agiere wie ein pharmakon, oder, umgekehrt, das pharmakon sei “die Droge der Repräsentation”. Ich möchte zunächst an dieser sehr allgemeinen Bedeutung festhalten, um zu fragen, wie weit sie sich in etwa für die Interpretation barocker Bildproduktionen und die Verwendung von Pigment und Farbe eignet. Ich habe dazu einige Beispiele eines bislang relativ vernachlässigten Genres ausgesucht, des sogenannten sottobosco Genres, auch Niederwelt oder Waldbodenstück genannt, das von Otto Marseus van Schrieck und anderen in Verbindung mit toxologischen und pharmazeutischen Diskussionen des 17. Jahrhunderts entwickelt wurde & die gesamte Bandbreite zwischen naturwissenschaftlichem und magischem Register bildnerischer Produktion abdeckt.
Zur Erläuterung: Sottoboschi zeigen giftige Tiere, Kräuter und Früchte – Schlangen, Kröten und Pilze zum Beispiel – in einer etwas unheimlichen Umgebung wie feuchten Höhlen oder Felsspalten oder dunklem Dickicht, und wurden als Subgattung um 1650 in Italien (allerdings von niederländischen Künstlern) erfunden. Ich möchte zeigen, wie sich das Genre formal aus der Darstellung des vorbildhaft von Leonardo und Rubens entworfenen Medusenhaupts entwickelte, aber wie es zugleich auch einen pharmazeutischen Hintergrund aufweist. Die naturwissenschaftlich-medizinische und mythologische Ebene konvergieren in der aufgeheizten Debatte des 17. Jahrhunderts über die Wirkung von Giften und Antidoten, welche uns wiederum zur Frage führt, auf welche Weise Bilder mit der natürlichen Welt in Zusammenhang stehen, und mehr noch: wie sie innerhalb dieser Welt agieren und funktionieren können. Grundsätzlich gilt: Spricht man von der Malerei als pharmakon, „so müsste man <auch> von der Macht der Verzauberung <sprechen>, von der nach Art der Medusa erstarren machenden Faszination, der alchimistischen Verwandlung, die ihn der Zauberei und der Magie verwandt sein lässt.“ (Derrida). Um jenen Zauber der Medusa, der Medizin, Chemie und Alchemie geht es im Folgenden.
Karin Leonhard: Kunsthistorikerin. 1988-95 Studium der Kunstgeschichte, Neueren deutschen Literatur und Theaterwissenschaft an der Ludwig-Maximilians-Universität, München; 2001 Dissertation “Zur Interieurmalerei Jan Vermeers“; 2004-2011 wissenschaftliche Assistentin an der KU Eichstätt-Ingolstadt; 2009-2011 Fellow am KHI (Max-Planck-Institut) in Florenz; 2011-2013 Senior Research Fellow am Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte, Berlin, 2013-2015 Professur an der Universität Bonn; seit 2015 an der Universität Konstanz. Seit 2014 Ehrenkuratorin des Rijksmuseums Amsterdam. Forschungsschwerpunkte: die Verbindung von Kunst- und Naturtheorien in der Frühen Neuzeit; Methodologie der Kunstgeschichte; neuerdings v.a. der Dialog zwischen Kunstgeschichte und Restaurierungswissenschaften.