In niemandes Zeit | Der Streit um den Begriff des Ereignisses im Poststrukturalismus
Vortrag von Katja Diefenbach
Das "Ereignis" ist einer der Großbegriffe, den uns die französische Philosophie in den 1960er Jahren überlassen hat. Er ist in die Debatte gebracht worden, um in die politische und theoretische Krise des Marxismus einzugreifen, nachdem dessen geschichtsphilosophischen Grundlegungen zertrümmert worden waren. Wie sich aber an den Figuren der Ausnahme und der Intensität bei Badiou und Deleuze zeigen lässt, ist nichts umstrittener als der Begriff des Ereignisses. Für Badiou ist es ontologisch grundlos und muss durch den Eingriff eines Subjekts retroaktiv bewahrheitet werden. Für Deleuze aber folgt auf ein Ereignis nicht seine nachträgliche Konservierung oder Verfestigung, sondern seine raumzeitliche Differenzierung.
Gegen Rancière oder Badiou werde ich die These vertreten, dass Deleuzes Ontologie der Intensität im Poststrukturalismus eine bemerkenswerte Sonderstellung einnimmt, da sie dem Denken der Politik und der Ästhetik der Existenz kein einsinniges Prinzip (wie Streit, Entscheidung oder Treue zum Ereignis) unterlegt, sondern kraft des reinsten unter den anarchischen Prinzipien operiert, des Differenzausdrucks. Das ermöglicht ihm, Politik nicht mehr tautologisch zu denken (sie ist emanzipatorisch oder sie ist nicht) und stattdessen die inneren Spannungen politischer Akte zu begreifen, ihre immanenten Wendepunkte und Ausdruckswechsel, an denen sie sich von emanzipatorischen in reaktionäre Handlungen verwandeln, ihre Schärfe verlieren oder verschwinden.
Katja Diefenbach ist Theoretikerin und lebt in Berlin. Ihre Forschungsschwerpunkte sind französische Epistemologie und Philosophie des 20. Jahrhunderts, unter besonderer Berücksichtigung des Verhältnisses von Marxismus und Poststrukturalismus. Vor kurzem ist der von ihr mitherausgegebene Band Encountering Althusser. Politics and Materialism in Contemporary Radical Thought (Bloomsbury 2013) herausgekommen. 2015 erscheint Politik der Potentialität. Spinoza im Postmarxismus. Katja Diefenbach hat an der Universität der Künste Berlin, der Humboldt Universität Berlin, der Jan van Eyck Akademie Maastricht und der Hamburger Hochschule für Bildende Künste gelehrt.