Stellungnahme des Senats der Akademie der bildenden Künste Wien
Der Senat der Akademie der bildenden Künste Wien begrüßt die Initiative von Bundesministerin Karl § 278 zu evaluieren und fordert, die Anklage gegen Studierende nicht zu erheben.
19.5.2011
Sehr geehrte Frau Bundesministerin Karl,
sehr geehrte Staatsanwaltschaft, sehr geehrte Oberstaatsanwaltschaft,
Im Juli 2010 wurden drei Studierende der Akademie der bildenden Künste Wien gemeinsam mit einer vierten Person im Zuge von Hausdurchsuchungen und Beschlagnahmungen verhaftet und mehrere Wochen in Untersuchungshaft festgehalten. Ihnen wurde vorgeworfen, Mistkübel vor einem Wiener AMS angezündet zu haben. Zwei Personen wurden durch das "Landesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung" (LVT) der terroristischen Vereinigung gem. §278 b/c verdächtigt.
Ein Blick auf das weitere Verfahren und die Einsicht in die gegenwärtige Aktenlage lässt befürchten, dass dieser Paragraph zur Grundlage einer polizeilichen und juristischen Praxis geworden ist, die es erlaubt, rechtsstaatliche Prinzipien zu umgehen.
Im Bericht des LVT kommt § 278b/c insbesondere mit Bezug auf die Video-Dokumentation einer Abschiebung ins Spiel, die auf zwei der im Zuge der Hausdurchsuchungen beschlagnahmten Computer gefunden wurde. Das Video zeigt Bildsequenzen einer alltäglichen polizeilichen Amtshandlung: eine "Abschiebung" vom "Polizeianhaltezentrum" Roßauer Ländebis zum Flughafen Wien Schwechat. Dieses Video begründe den "dringende(n) Verdacht, dass die Beschuldigten offensichtlich Verhinderungen von Abschiebungen, möglicherweise aber auch Häftlingsbefreiungen planen. (...) Als Motiv für die offensichtlich geplanten Aktionen könnte die Erzwingung einer Gesetzesänderung aber auch die Änderung der Asylpolitik in Österreich sein [sic!]."
Demgegenüber ist festzuhalten, dass das Video eindeutig Teil einer Recherche ist, die im Kontext von Formen des künstlerischen Aktivismus und Dokumentarismus interpretiert werden muss. Diese Forschungspraktiken sind seit einigen Jahren state of the art in der zeitgenössischen Kunst. Die Kriminalisierung der Produzent_innen nach §278 erscheint uns dementsprechend absurd. Der Senat der Akademie der bildenden Künste protestiert aufs Schärfste gegen die verzerrende und für einen Rechtsstaat fatale Interpretation wie sie mit dem "Abschlussbericht" des LVT vorliegt. Denn damit wird sowohl die Freiheit von Kunst und ihrer Vermittlung missachtet als auch das Grundrecht, sich politisch zu organisieren und gegen Missstände zu protestieren.
Mit Berufung auf den §278 - dies zeigt das Beispiel des Tierschützer_innenprozesses und dessen Ausgang - wird an der Aushöhlung dieser (grund-)rechtsstaatlichen Basis gearbeitet. Insofern begrüßt der Senat der Akademie der bildenden Künste Wien die Initiative von BM Karl §278 zu "evaluieren" und verbindet damit die Hoffnung, dass dieser Paragraph aus dem Strafgesetzbuch entfernt wird. Vor diesem Hintergrund fordert der Senat die (Ober-)Staatsanwaltschaft auf, die Anklage gegen die Studierenden fallen zu lassen.
Der Senat der Akademie der bildenden Künste Wien