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Nachruf auf Gudrun Ankele

„Revolution, meine Damen, ist die Sprungfeder am Stöckel eines Damenschuhs.“ Gudrun Ankele aka Guggi Brüll
16.8.2012

Wir möchten im Namen der Akademie und des Instituts für Kunst- und Kulturwissenschaften unsere tiefe Trauer über den Tod von Gudrun Ankele zum Ausdruck bringen, die am 6. August im Alter von 38 Jahren verstorben ist. Unsere Anteilnahme gilt in erster Linie ihrem Partner Andreas Rumpfhuber und ihrer 2011 geborenen Tochter Ida sowie ihren Eltern und Geschwistern.

Gudrun Ankele, Künstlerin, Kunsthistorikerin und Literaturwissenschaftlerin, hat 2005 ihr Doktoratsstudium bei Sabeth Buchmann aufgenommen und ihre Dissertation 2008 unter dem Titel Versuchsweise extrem - Radikale feministische Manifeste als Provokation des Politischen abgeschlossen. Auf wissenschaftlich überzeugende Weise untersucht sie hierin den literarisch-ästhetischen sowie den gesellschaftspolitischen Anspruch repräsentativer Manifeste weiblicher Emanzipationsentwürfe. Die von Ankele ausgewählten Beispiele - Texte von Olympe de Gouges (1791), Helene Druskowitz (1905), Valentine de Saint-Point (1912), Mina Loy (1914), Valerie Solanas (1968), VALIE EXPORT (1972) und Beatriz Preciado (2000) - dokumentieren die historische Bandbreite ihrer Studie, die von der Aufklärung und der französischen Revolution über die Avantgarden, die erste und zweite Frauenbewegung bis hin zu zeitgenössischen queeren Diskursen und Praktiken reicht. Auf der Grundlage exemplarischer Analysen der jeweiligen textuellen Verfahren diskutiert Ankele Ansätze für eine im historischen Feminismus begründete (Neu-)Formulierung des Politischen: eine Herangehensweise, die programmatisch auf eine modellhafte Rekonstruktion künstlerisch-politischer Utopien einerseits und die stets ambivalenten Versuche ihrer Umsetzung andererseits zielt. In der Fähigkeit, feministische Manifeste als ein spezifisches, die vielschichtigen und widersprüchlichen Verknüpfungen von Kunst und Politik artikulierendes Format zu fassen, zeigt sich die hervorragende Qualität von Ankeles Arbeit. Ihre Publikation wird in absehbarer Zeit erfolgen.

Gudrun Ankeles Dissertation ist nur eines der Beispiele ihres kontinuierlichen und tiefgreifenden Interesses an feministischen Agenden. Nach dem Abschluss der Dissertation erschien 2010 der bei orange press verlegte Sammelband ABSOLUTE FEMINISMUS mit bislang marginalisierten Schriften, Manifesten und Liedtexten. Darauf angelegt, feministische Geschichtsschreibung einer kritischen Revision hinsichtlich jener Formen der Kanonbildung zu unterziehen, die die Brüche und Widersprüche im Feminismus ausblendet und somit ihre Funktion für soziale Kämpfe verkennt, besteht kein Zweifel daran, dass Ankeles Arbeit essenzielles Material erschlossen und neue Perspektiven für die Forschung und die queer-feministische Praxis eröffnet hat.

Von entscheidender Bedeutung für ihre intellektuelle und politische Arbeit war die 2001 bezeichnenderweise mit einem Manifest gemeinsam mit ihren Schwestern Karin und Moni ins Leben gerufene, bis 2010 aktive Künstlerinnen-Gruppe Schwestern Brüll : Das Trio verband darstellende mit visuellen Künsten, Unterhaltungsshows mit aktivistisch-publikatorischen Praktiken, performte mit Genuss und praktizierte Gesellschaftskritik stets mit Anspruch auf die Hier- und Jetztrevolte. Mit ihren Teilnahmen an den Wiener Festwochen, am Steirischen Herbst, der Art Basel etc. sowie mit ihrer Radiosendung Brüllzimmer und ihrem club brüllé im Fluc waren die drei Schwestern weithin bekannt. Ihre langjährige und enge Zusammenarbeit fand ihre Fortsetzung in einer interdisziplinären Forschungskollaboration im Rahmen eines Doc-Team-Stipendiums der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, aus der u.a. Gudruns Dissertation hervorgegangen ist.

Wir wissen, dass und in welcher Weise der intensive familiäre Zusammenhalt, der auch für das Verhältnis zwischen den Schwestern und den Eltern gilt, Gudrun durch ihre Krankheit getragen hat - ganz zu schweigen von der Liebe und Unterstützung, mit der Andreas Rumpfhuber sie bis zu ihrem Tod begleitet hat. Wir können Andreas, der vielen unserer Kolleg_innen und Studierenden aus seiner Zeit als Assistent am Institut für Kunst und Architektur und durch seine Forschungsprojekte bekannt ist, gar nicht genug für die Sensibilität und Umsicht danken, mit der er die gemeinsamen Freund_innen über den Verlauf von Gudruns Krankheit in Kenntnis gesetzt hat.

Wir, die wir Gudrun als Dissertationsbetreuerin und als Mitglied der Prüfungskommission kannten - Funktionen, die wir als erdenklich bereichernd erfahren haben -, sind nicht in der Position, als nahestehende Freundinnen zu sprechen. Wir sprechen aus der Position jener, die in zeitweilig intensivem, zeitweilig losem Kontakt zu ihr standen und von ihrem ebenso professionellen wie amikalen Umgang nicht nur mit uns, sondern auch mit den Studierenden eingenommen waren.

Gudrun Ankele hat nach dem Abschluss ihrer Dissertation sowohl an der Akademie, hier in Vertretung von Doris Guth durch Übernahme der Gender Studies-Veranstaltungen (Wintersemester 2008/9), als auch an der Berliner Universität der Künste unterrichtet: Dort war sie im Wintersemester 2009/10 als Gastdozentin tätig, und zwar parallel zu ihrer damaligen, im vergangenen Jahr beendeten Mitarbeit bei TBA 21. Es war ihr erklärtes Vorhaben, sich in Zukunft wieder stärker der Forschung und Lehre zuzuwenden.

Wir möchten mit der treffenden Feststellung von Lina Streeruwitz, einer ihrer Freundinnen, die sie im Rahmen ihres Dissertationsstudiums kennengelernt hat, enden: Gudrun, so Linas Formulierung, hatte die Fähigkeit, ihr Gegenüber auf geradezu ansteckende Weise anzustrahlen; eine Fähigkeit, die auch ihre kleine Tochter auszeichnet.

Dieses Strahlen, das beispielhaft für Gudrun Ankeles stets nach vorne gedachte Politik der Solidarität und Freundschaft steht und zutiefst in ihrer Persönlichkeit verwurzelt war, werden wir stets in unserer Erinnerung bewahren. Wir sind überzeugt davon, dass ihre Arbeit einen zukunftsweisenden Beitrag nicht nur zur Erforschung feministischer Denk- und Handlungsformen darstellt, sondern auch zu einem geschärften Bewusstsein um die Haltung, der es bedarf, das Persönliche als kollektive Praxis zu verstehen. Es ist für uns, die wir mit Gudrun im Austausch standen, unvorstellbar, der Möglichkeit der Begegnung und Diskussion mit ihr beraubt zu sein.

Sabeth Buchmann und Ruth Sonderegger (stellv. Institutsvorständin)
im August 2012.