Emilia Kabakov
Artist Talk (in englischer Sprache)
Einführung: Cathérine Hug
Begrüßung: Andreas Spiegl
Dieses offene studentische Gespräch mit Emilia Kabakov findet im Rahmen der Ausstellung 1989. Ende der Geschichte oder Beginn der Zukunft? Anmerkungen zum Epochenbruch (9. Oktober 2009 - 7. Februar 2010, Halle 1) in Kooperation mit der KUNSTHALLE Wien statt.
Biografische Notiz
Ilya Kabakov * 1933 und Emilia Kabakov * 1945 in Dnepropetrovsk, UdSSR (heute Ukraine), leben und arbeiten in Long Island/NY
1957 schloss Ilya Kabakov sein Studium am Staatlichen Surikow Kunstinstitut im Studienbereich Grafik-Design und Buchillustration ab. Um sich den Lebensunterhalt zu sichern arbeitete er die darauffolgenden Jahre als Kinderbuchillustrator. Ab 1967 bewohnte Kabakov eine Dachgeschosswohnung im Moskauer Stadtzentrum, die bald darauf zu einem Epizentrum der dissidenten Kunstszene wurde. 1989 sollte in verschiedener Hinsicht ein Schlüsseljahr in Kabakovs Leben werden: Er erhielt ein einjähriges Aufenthaltsstipendium des Berliner Künstlerprogramms des DAAD und wurde mit einer Reihe vielbeachteter Einzelausstellungen, darunter im Institute of Contemporary Art in Philadelphia, in der De Appel Foundation in Amsterdam, in der Kunsthalle Zürich, im ICA in London und im Centre Pompidou in Paris gewürdigt. Seine Erfahrungen als Zeuge des Berliner Mauerfalls flossen unmittelbar in die Installation Zwei Erinnerungen an die Angst (1990) ein. Die Arbeit, die anlässlich der Ausstellung Die Endlichkeit der Freiheit am Potsdamer Platz errichtet wurde, besteht aus zwei eng angelegten, 28 Meter langen Holzcouloirs, die an die Berliner Mauer mahnen. Zwischen den beiden über zweieinhalb Meter hohen aber nur knapp einen Meter breiten Korridore waren gefundene Objekte und 270 Sätze der Angst in deutsch/englisch im westlichen und deutsch/russisch im russischen Teil aufgehängt. Gleichzeitig markiert 1989 ein weiteres Ereignis von zentraler biografischer Bedeutung, nämlich den Beginn der Zusammenarbeit von Ilya Kabakov und Emilia Kanevsky (Kabakov nach ihrer Hochzeit 1992). Von diesem Zeitpunkt an waren alle Arbeiten Kooperationen. Ilya Kabakov hatte bereits früher seine Kreativität mit fiktiven Alter Egos wie Igor Spivak und Charles Rosenthal verschmelzen lassen, mit diesem Schritt zur absolut gleichberechtigten Kooperation vollzog er nun aber den entscheidenden zu einer wahren "interaktiven" Beziehung. Die Kabakovs wurden mit zahlreichen Auszeichnungen für ihre Verdienste geehrt, darunter mit dem Ehrendiplom der Biennale di Venezia und dem Joseph Beuys-Preis in Basel (1993), mit dem International Association of Art Critics Award in New York (1997), dem Ehrendoktor der Universität Bern (2000) und dem Oskar Kokoschka-Preis des Bundesministeriums in Wien (2002).
Kurztext
Das in der KUNSTHALLE Wien ab 8. Oktober bis 7. Februar gezeigte und rund 160 m 2 große Kunstwerk Das große Archiv gehört zu einer Gruppe von Installationen, die unter dem Titel Die russische Welt zusammengefasst sind. Ein System von mehreren klaustrophobisch anmutenden und labyrinthisch angelegten, spärlich mit nackten Glühbirnen beleuchteten Räumen und einer minutiösen Anordnung von rund 800 Zeichnungen, Schrift- und Möbelstücken bildet für sich alleine die Grundlage des Großen Archivs . An den Wänden hängen handgeschriebene Aufrufe, die zum Ausfüllen und zur Abgabe stumpfsinniger Formulare und Fragebögen oder zum Unterschreiben eines Schriftstücks auffordern. Nach der (mental) geleisteten Schreibaufgabe wird es nötig, mit dem Schriftstück zu einem anderen Tisch zu gehen, von dem man aufgrund der kryptischen Anweisung allerdings nicht weiß, wo er sein soll. Auf den Tischen liegt "eine enorme Anzahl von Papieren, […] alle möglichen Papiere, in denen die Person, die zufällig hier herein gerät, leicht ertrinken könnte", wie die Kabakovs verlauten. Beim Betreten sehen sich die Betrachterinnen und Betrachter hier also atmosphärisch in die fantastische Anordnung von Warteschlangen eines kafkaesken Verwaltungsapparates versetzt, wo die Macht der Bürokratie ad absurdum geführt wird. Gleichzeitig handelt es sich nicht um ein rein kontemplatives Erlebnis, sondern jeder einzelne wird auf die Probe gestellt oder auf Erinnerungen an bürokratische Hilfeleistungen zurückgeworfen, wo unter prekären Umständen der schikanierende Formularkrieg zeitlich zum Teil absurde Ausmaße annehmen kann.