Auf der Suche nach Kontaktzonen zwischen Peripherie und Zentrum in der Sammlung und den Ausstellungen des mumok, 1998-2018: Ein Beziehungsfall zwischen dem fotografischen Werk von Nora Aslan (AR) und Rochelle Costi (BR) und dem museologischen Rahmen.
Claudia Sandoval Romero
Dissertationsstipendiat_in an der Akademie der bildenden Künste Wien | Abschluss-Stipendium des Doktoratszentrums 2025
Abstract
In den zwei Jahrzehnten zwischen 1998 und 2018, einem Jahrzehnt zu beiden Seiten des Weltwirtschaftskollapses 2008 (Brown 2015, Temin 2010), erwarb das mumok – Museum moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien – die Werke von zwei Künstlerinnen aus Lateinamerika, die Fotografie als Ausdrucksmedium (mumok 2018, 2019) verwenden. Die Kunstwerke in Sammlungen und Ausstellungsprogrammen der Museen sind für die Gestaltung des kunsthistorischen Kanons verantwortlich. Dies spiegelt sich unmittelbar in der Konfiguration einer nationalen Identität wider (vgl. Bourdieu 1998, Buchholz 2016, Jurt 1998, Steyerl 2011). KulturwissenschaftlerInnen wie Pierre Bourdieu 2005 und Katrin Hassler 2017 haben sich mit der systemischen Unterrepräsentation von Frauen im Kunstfeld auseinandergesetzt. Dies führt zu einem verarmten, männerdominierten kunsthistorischen Kanon. Wenn Kunstsammlungen und -ausstellungen eine wichtige Rolle bei Projekten zur Nationenbildung spielen, sollten wir uns dann nicht fragen, ob es bei der Konstruktion der nationalen Identität durch Kunst und Kultur ein Ungleichgewicht zwischen den Geschlechtern gibt?
In meiner Dissertation untersuche ich die Repräsentation von weiblichen und nichtbinären (*) bildenden KünstlerInnen des Globalen Südens bei mumok anhand des Erwerbs von fotografischen Werken der argentinischen Künstlerin Nora Aslan (geboren 1937 in Buenos Aires) und der brasilianischen Künstlerin Rochelle Costi (geboren 1961 in Caxias do Sul, Brasilien - gestorben am 26. November 2022 in São Paulo).
Die vorliegende Studie besteht in der Analyse der Kontaktzone oder der Begegnung von peripherischen Instanzen mit dem Zentrum, d. h. dem Erwerb von Kunstwerken von Künstlern aus Abya Yala (Lateinamerika) durch mumok. Mary Louise Pratt definiert Kontaktzonen als „soziale Räume, in denen ungleiche Kulturen aufeinander treffen, aufeinanderprallen und miteinander ringen, oft in höchst asymmetrischen Beziehungen“ (Pratt, 1992:4); ein Kampf, der in beide Richtungen geht, reziprok ist und sich gegenseitig konstituiert (vgl. ebd.). Ich verwende den Zentrum-Peripherie-Ansatz, da er dazu beiträgt, die Machtverhältnisse in einer globalisierten Kunstwelt neu zu überdenken. Dieser Ansatz ist der Ausgangspunkt für die Suche nach Dynamiken der Vermittlung im Kunstfeld. Solche Dynamiken sind auch für die Konstitution des Nationalstaats entscheidend (vgl. Buchholz 2016, Steyerl 2011) und ich nähere mich ihnen durch ein post- und de(s)koloniales Verständnis des Kunstfeldes (vgl. Acha 1993 und 2004 und Buenaventura 2012). Ich suche nach einer Definition einer Kontaktzone zwischen Peripherie und Zentrum, die die implizite binäre Logik der Zentrum-Peripherie-Konzeption in Frage stellt.
Mit meiner Dissertation möchte ich einen Beitrag zum kulturwissenschaftlichen Diskurs über die Repräsentation von weiblichen und nicht-binären (*) bildenden Künstlerinnen des Globalen Südens aus einer subjektiv-kritischen Perspektive leisten, indem ich Fragen zur Repräsentation, zur Positionierung im künstlerischen Feld und zu Machtverhältnissen im museologischen Kontext aufgreife. Damit leistet die Arbeit auch einen Beitrag zu Debatten über Verlust, Trauer (vgl. Pollock 1999) und die Wiederherstellung der verweigerten Position von Frauen und nicht-binären (*) Menschen im Kunstfeld.
Kurzbiografie
claudia* sandoval romero ist Bachelor in Medien und Journalismus (Universität Valle, Kolumbien), Master in Neuer Medienkunst (Universität Sao Paulo, Brasilien) und Master in Critical Studies (Akademie der Bildenden Künste Wien).
Verortet in der visuellen Kultur und der Soziologie der Kunst, die vom französischen Soziologen Pierre Bourdieu in seiner Arbeit zur Konzeptualisierung der sozialen Besonderheiten der Künste vorgeschlagen wurden, zielt der transdisziplinäre Ansatz von sandoval romeros Forschung darauf ab, die Machtverhältnisse im Museumskontext zu verstehen und sie anhand von post- und dekolonialen Theorien innerhalb der Kulturwissenschaften und aus einer intersektionalen feministischen* Perspektive zu analysieren. Ihre* Doktorarbeit möchte einen Beitrag zum kulturwissenschaftlichen Diskurs über die Repräsentation von bildenden KünstlerInnen* des Globalen Südens aus einer subjektiv-kritischen Perspektive leisten, indem sie Fragen der Repräsentation, der Positionierung im künstlerischen Feld und der Machtverhältnisse im musealen Kontext behandelt. Damit möchte die Arbeit auch einen Beitrag zu Debatten über Verlust, Trauer und Restitution der verweigerten Position von Frauen und nicht-binäre* Personen im Kunstfeld leisten.