Skip to main content

Wider den Stillstand! … etwas Geistreiches und Löcher im Bild

Ein Beitrag von Stefan Malicky, Alumnus, Diplom 2001, Fachbereich Grafik und druckgrafische Techniken

https://stefanmalicky.wordpress.com/2020/04/04/wider-den-stillstand-etwas-geistreiches-und-loecher-im-bild/

Mein Wort des Tages ist heute „Retroavantgarde“. Die Einheit eines doppelt belichteten Negativs zweier Ansichten die nichts miteinander zu tun zu haben scheinen, ergibt ein neues, verworrenes Bild. Dieses Bild muß als ein Ganzes wahrgenommen werden, man darf nicht zu ergründen versuchen, was auf den ursprünglich einzelnen Bildern zu sehen wäre. Das ist nicht abstrakt und nicht gegenständlich. Das ist sehr schwierig und unser Gehirn und unsere Wahrnehmung spielen uns dabei einen Streich. Ähnlich kann man sich einen Philosophen oder eine Philosophin vorstellen, der oder die die zurzeitige globale Situation einzuordnen und zu interpretieren versucht. Erst die Blickachse aus der Zukunft erlaubt es wie so oft, das, was hier passiert, einzuordnen.

Was das übersetzt auf die politische Situation in Österreich ergibt, ist eine pikante Melange aus Dringlichkeit, diversen Meinungsdefiziten und tatsächlichen Freiheitseinbußen, aber irgendwer muß ja entscheiden. Der Mittelweg, der sich ja in solchen Situationen offensichtlich und offensiv anbietet, aber sein kreatives Limit bereits erreicht hat, ist eine Option auf Kosten seiner eigenen Glaubwürdigkeit und (…) der Leute. Der neue Rahmen, in dem wir jetzt zu bleiben haben, wird sich nicht selbst eliminieren. Wir werden da raustanzen müssen. Einerseits elegant, andererseits zielstrebig und konsequent.

Womit mündige Bürger konfrontiert werden sollen und dürfen und womit nicht (…). Bei der Ausrufung des ersten Maßnahmenpakets der Regierung waren Bundeskanzler Sebastian Kurz und sein Vize Werner Kogler zu Gast im ZIB-Studio. Alle, bis auf Kurz, der das möglicherweise besser überspielt, haben sehr nervös gewirkt. Sowohl der ORF-Moderator als auch Kogler. Dabei ist mir aufgefallen, dass Herr Kurz gesagt hat, dass durchaus ein Plan vorläge, den man so nicht der Öffentlichkeit präsentieren könne. Das war sicher für Viele eine Infragestellung der Mündigkeit gewisser Bevölkerungsanteile, die nur unter diesen spezifischen Umständen toleriert hat werden können. Man kann Leute offenbar auch anders umgarnen als mit hehren Werten. Ein Griff in die politische Trickkiste genügt. Ich müsste lügen, würde ich behaupten, mich an den genauen Wortlaut zu erinnern, es sind ja schon wieder über zwei Wochen vergangen. Aber es ist doch etwas Signifikantes davon bei mir hängen geblieben. Das sachte Vorgehen hat mich stutzig gemacht. Der Mann weiß, dass er es mit einer kritischen Masse zu tun hat und dass er sein gesamtes strategisches Vermögen aufbringen wird müssen, um diese Masse zu lenken. Womit haben wir es hier zu tun? Das es ihm nur bedingt um die Menschenleben geht, hat er ja bereits im Zuge seiner Flüchtlingspolitik bewiesen. Woher weht der Wind? Welche Strömung kommt zu tragen? Wofür übernimmt er hier Verantwortung? Worin liegt seine Arbeit? Wenn man ihn bei einer Stellenausschreibung nach seinen Kompetenzen fragen würde, was würde er wohl sagen? Worin liegt die Arbeit eines Bundeskanzlers?

Ich muß zugeben, ich hatte auch Assoziationen zu Michael Foucault. Es ist ja schon einiges vorweggenommen. Ich sehe schon einiges von dem, was mich bewegt in den hier bereits dargebrachten Texten vorweggenommen. Insofern kann ich mich bestenfalls solidarisch erklären. Mit der Bevölkerung? Mit den Geflüchteten, Ausharrenden? Mit den Kranken? Wie kann es weitergehen? Welche Alternativen und Möglichkeiten stehen überhaupt offen? Idealerweise überspitzte Forderungen.

„Seien Sie achtsam!“, wird seit langer Zeit in der Wiener U-Bahn durchgesagt. Meine Mutter hat mir empfohlen, mir ein Beispiel an meiner Freundin zu nehmen und Yoga zu machen. Über meinen morgendlichen Träumen liegt ein melancholischer Schatten. Das ist nicht gut. Das erinnert mich an Zeiten, in denen ich zu lange geschlafen habe oder Vitaminmangel hatte. Ich führe ein Schattendasein.

Der Umgang mit Vergangenem, mit Gegenwärtigem, mit Zukünftigem und mit zukünftig Gewesenem (…). Das Loch, das meine abgefederte Kritik hinterlässt, lässt Raum für so Manches, was hätte vermieden werden können. Die Welt, in der man sich profilieren will oder bereits profiliert hat, sagt etwas über den jeweiligen eigenen Charakter aus.

Die politischen Entscheidungsträger_innen sind jetzt an eine schwierige Aufgabe gebunden (…) die verstaubte Doktrin von schnell und richtig Handeln (…) betrifft die Künstler_innenschaft nur zweitrangig, ihnen fällt jetzt eine andere Aufgabe zu, die kritische und scharfsinnige Beobachtung. Für die Politik ist offenbar schnell und richtig Handeln das Gebot der Stunde. So sind die Politiker_innen mit Einsatzkräften vergleichbar, nur etwas abgehobener.

Ich will als Künstler, nicht als Bittsteller gesehen werden. Selbst-Schulterklopfen könnte auch anders gemeint sein. Und anders, und anders, und anders, und anders, (…) finanzielle Zurückhaltung aus solidarischen Gründen, auch ein Gebot der Stunde (…) ich werde mich zum Beispiel nicht um ein Corona-Stipendium bewerben, einfach deshalb weil es möglicherweise Bedürftigere gibt, die unser aller Solidarität brauchen.

Das längst fällig gewordene „Augenscheinlich-werden“ demokratiepolitischer Defizite kann jetzt ja bequem durch die Covid19-Krise auf unbestimmte Zeit aufgeschoben werden. So türmt sich ein Berg der immer größer wird, statt kleiner. Die Medien sind beschäftigt. Nein, nicht nur die Medien, auch viele andere Leute haben ein Blatt vorm Mund (das bei den Ohren eingehängt wird).

Das Thema ist so wie das Virus neu und, um einen eigenen Standpunkt zu etablieren, ist es ratsam nicht immer auf das, was Andere sagen, zu hören und auch nicht das Wenige, von dem man sagen kann, es verstanden zu haben, wie ein Wiederkäuer weiter zu verhandeln. Andererseits ist bei aller Eile klar, dass ein kategorischer Imperativ eines Herrn Kurz und der Staatsmacht nicht reicht, um die neu auftretenden Widersprüchlichkeiten und Paradoxa, die auf die Bürger_innen zukommen, auszuräumen. Bedenklich wird es dann, wenn die Staatsmacht aber auch und vor allem die Zivilgesellschaft vor diesen sehr schnell entstandenen Widersprüchlichkeiten die Augen verschließt (das wird eh nicht wirklich möglich sein). Man wird sich ein neues, angepasstes Vokabular zulegen müssen, um der Situation gewappnet gegenüber zu stehen. Wir werden tanzen müssen. So bin ich noch radikaler und strenger mit mir selbst als es von mir erwartet wird. Die Kunst ist gefragt, und es gibt jetzt dringendere Fragen, als die nach dem hellsten Stern am Firmament.

Aktuelles auf der Webpräsenz des Innenministeriums: Innenminister Karl Nehammer appelliert an die Bevölkerung: „Vertrauen Sie ausschließlich den Mitteilungen der zuständigen Ministerien und öffentlichen Behörden.“ Erst ernstgenommen denke ich jetzt immer wieder darüber nach. Ich verstehe, dass ich zu meiner eigenen Sicherheit nicht Allem und Jedem trauen soll, aber ich selbst, traue ich mich nach so etwas überhaupt noch etwas zum Thema zu sagen? Muß ich damit rechnen, jetzt plötzlich nicht ernst genommen zu werden? Wer soll mir jetzt bitte nicht mehr trauen? Sind wir eine Bevölkerung, die zu ihrem Glück überlistet, überredet oder umgestimmt werden muß? Wo beginnt die Entmündigung der Bevölkerung? Eine Expert_innendiktatur der beratenden Mediziner_innen?

Nun: Ob es an der Zeit ist, den Advocatus Diaboli zu spielen und zum Beispiel zu fragen, ob es nicht besser für alle wäre, die Leute würden frühzeitig durch eine Infektion selbst immun werden?
Nun: Mit dieser Rolle kann ich mich nicht wirklich anfreunden.

Verschärfungen, immer strenger werdende Regeln, notwendige Maßnahmen, (…).
Ich rekonstruiere eine Tradition, nämlich die, dass im Wiener Burggarten die Leute auf dem Rasen sitzen, die auf die späten 70er-Jahre zurückgeht, als es Demonstrationen gegen das Betretungsverbot der Rasenflächen gegeben hat. Es kam damals zu Ausschreitungen und Verhaftungen. Ist das wirklich notwendig? Das im Zusammenhang mit den Bundesgärten umkämpfte Recht auf „Park“ auf „Freiraum“ hat ein mickriges Virus innerhalb kürzester Zeit pulverisiert. Es ist sicher mit ein Grund für die Empörung über die geschlossenen Bundesgärten, dass die Wiener Bevölkerung einfach Anderes gewohnt ist, das sich die Leute erinnern können, dass sie imstande sind, zwischen schon da Gewesenem und noch nie da Gewesenem zu unterscheiden.

Ausgeklammerte Symbolpolitik? Sicher nicht, wenn sogar Statuen im öffentlichen Raum Schutzmasken tragen, während die Produktion von medizinischen Geräten hinterherhinkt.

Eigentlich will ich mich nicht festlegen und gegen ein wiederum neues Maßnahmenpaket polemisieren. Ich will nicht schuld sein, dass irgendjemand, der oder die diesen Text liest, fahrlässig an Corona erkrankt. Wo liegt der Handlungsbedarf? Der Gap zwischen Expert_innendiktatur und polemischen Positionen, (…) eine ziellose Gratwanderung.

Im Krisenmodus hat der Traum von den Löchern der Bilder das Nachsehen. Ich bin aufgewacht, und meine Bilder, die an meinen Wänden hängen, waren durchlöchert. (…) Ein schwarzer Stoff hängt, als Fotohintergrund getarnt, in meinem Wohnzimmer. Neue Modelle bevölkern die Regale. Das hat offiziell nichts mit dem Virus zu tun. Inoffiziell natürlich schon. Seit Tagen habe ich meine Heimstätte im 16. Bezirk zu einem Atelier umfunktioniert. Ich kratze, ich schabe, ich bohre Löcher in die Bilder. Symbolpolitik ist das keine (…) ich bin ein Unruhegeist und das macht sich jetzt doppelt bemerkbar.

Im Internet-Medium „Zack-Zack“ beziehungsweise auch in anderen Medien war heute ein Artikel, dass der Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka von der ÖVP für eine Verpflichtung zu einer vom Roten Kreuz in Auftrag gegebenen App ist. Er kann sich ein allgemeines Ausgehverbot bei nicht installierter Corona-Sicherheits-App vorstellen. Als Kommentar habe ich hinzugefügt, dass ich möglicherweise mit meinem Uralt-Handy nicht in der Lage sein werde, die neue App zu laden oder zu installieren, und dass ich mir auch kein neues Handy kaufen würde, wenn es jetzt überhaupt möglich wäre.

Meine löchrige Situationsmalerei nimmt hier ein möglicherweise allzu abruptes Ende. Das Versprechen von den Löchern in den Bildern bleibt uneingelöst (…).

Hier ist nicht mehr viel hinzuzufügen außer, (…) haltet die Ohren steif und bleibt gesund.