Fabian Seiz – Exakte Geheimnisse

„Es ist lobenswerter, das Geheimnis im Licht zu entdecken als im Schatten.“ Maria Lowitska

Dieser Raum ist eine Maschine! So wie alles von Menschenhand Geschaffene setzt sich auch dieses ‚Produkt‘, diese Raummaschine scheinbar aus den beiden sich wechselseitig bedingenden Komponenten von Form und Inhalt zusammen.
Bipolar.

Das Formale; die Regale, die Tische, die Zierde, ... – alles stellt sich dem Inhalt; den Büchern, dem Studium, dem Lesen und Erinnern zur Verfügung.
Als Speicher geschaffen, geschaffen um zu speichern.
Als historischer Raum wird er zwangsläufig zur Zeitmaschine. Ablegen, Datieren, Verwalten, Kategorisieren.

Ungeklärt bleibt die Entwicklungsgeschichte der zusammen getragenen Buchstaben und Wörter selbst – entstanden in einer Zeit ohne Papier.
Die Erklärungsmodelle zeigen auch wieder zwei Pole:
a., der technisch-zufällige und
b., der mythologisch-gesetzmäßige Zugang.

Entweder beruht die Schöpfung der Wörter auf bloßer Übereinkunft, durch unsere körperlich/technischen Möglichkeiten (Lippen, Kehlkopf, Stimmbänder), abgesteckten Ausdrucksweise, oder alles hat eine mythologische Erzählung und die Wörter sind die einzig ‚richtigen‘, ‚passenden‘, die alles beschreiben.
Entweder/Oder. Raum und Zeit. Form und Inhalt. Null und Eins.

Störung des Bipolaren:
Was, wenn die Formen selbst schon ihr Inhalt sind, oder ihn zumindest mitbestimmen? Nicht bloß Gefäß, Ummantelung – keine Lagerstätte für etwas. In einer Art Gleichschritt entwickelt. Kein separater Inhalt der sich irgendwo verborgen hält und den es zu entdecken gilt. Alles ist längst sichtbar – sonnenklar, wenn das Geheimnis der Formen selbst alles Gesuchte preisgibt.

Das Geheimnis wäre die Abwesenheit aller Geheimnisse – ein doppelter Boden der eine vermeintliche Leere eröffnet, aber kein Vakuum. Denn die Leere ist gefasst zwischen Formen und Zeichen, zwischen Wänden, Sesseln, Tischen usw.

Alfred Kaufman

„Die Bibliothek (…), unendliches Gedächtnis des Nicht-Lesens und des Vergeßlesens (‚l’oublire‘). Die Bibliothek (…) oder alles, was sie hier an unendlicher und endlos kommender Leserschaft repräsentiert und konzentriert, muß also eingestehen, nicht zu verstehen (comprendre), was sie beinhaltet (comprend).“ *

Anderswo, beispielsweise in (fiktionaler) Literatur, steht die Bibliothek als Metapher für Wissen und wird als Ort des Denkens und der informierten Ordnung des Gedachten dem kulturellen Gedächtnis zugeschrieben.
In der Funktion als museale Ausstellungsfläche auf ihre Materialität reduziert, drängt sich die Form des historischen Raums zunächst in den Vordergrund.
Das mediale Hinzeigen oder Hinweisen auf immaterielle (geistige) Inhalte ist dann geglückt, wenn das Vorhandene individuell gewählt, sortiert und organisiert eine neue Form von Sinn erzeugt.

Fabian Seiz zeigt in der Ausstellung Exakte Geheimnisse Objekte, die als reformierte und reformulierte materielle Zeugen seiner Sammlungen und Ordnungen dastehen. Durch die Ausdrucksbewegungen des Schneidens, Sägens, Fräsens, Klebens manifestiert und schichtet er sein Gedächtnis ins Material hinein. Zeichenhaft und eindrücklich verweisen die so entstandenen (Hand-)Werke auf das von ihnen Getrennte, auf die exakt umrissenen Geheimnisse des Gedachten.

Patrizia Wiesner-Ledermann

* Jacques Derrida: Genesen, Genealogien, Genres und das Genie. Die Geheimnisse des Archivs. Wien: Passagen Verlag, 2006. 39.

Fabian Seiz
1975 in Wien geboren. 1993–1999 Studium der Malerei und Druckgrafik an der Akademie der bildenden Künste Wien bei Gunter Damisch. Ab 2001 dreidimensionale Arbeiten. Zahlreiche Ausstellungen im In- und Ausland.
https://www.instagram.com/fabianseiz/

Zehn exakte Fragen zu zehn exakten Geheimnissen
18.1.2024, 16 h

Ein Gespräch im Rahmen des Rundgang 2024 zwischen dem Künstler Fabian Seiz und Patrizia Wiesner-Ledermann zu ausgestellten Arbeiten.