Skip to main content

derdiedas bildende | Kanonisieren

Akademiezeitung Nr. 5

Mit Beiträgen von

öh_akbild | Zum Umgang mit diskriminierender Sprache in Lehrtexten
Hakan Gürses | Mit Kanonen auf den Kanon?
Alice Pechriggl | Sprachregelung und Verfügung über die Vergangenheit
Malte Brinkmann | Studieren – wozu? – Zu Studium, Kritik und Krise (in) der Universität in Zeiten der Dekolonialisierung

Christa Benzer | Wie man queerfeministische, postkoloniale Theorie mit der eigenen Kunstproduktion, Vermittlungsfragen und Pädagogik zusammenbringt
IKA | From Architectures of Learning to Learning Architectures

Nina Schedlmayer | „Völkische Kunstbetrachtung“

Constanze Ruhm | Birgit Jürgenssen Preisträgerin 2016 – Cana Bilir Meier

Gabriele Reinharter Schrammel, Stephanie Baumgarten | Studieren in der Schweiz – Swiss European Mobility Programme SEMP

Liebe Leser_innen,

wir freuen uns, Ihnen die fünfte Ausgabe der Akademiezeitung derdiedas bildende präsentieren zu können. Diese Ausgabe widmet sich dem Thema Kanonisieren und knüpft damit an zahlreiche aktuelle internationale Diskurse und Diskussionen an, die auch an der Akademie der bildenden Künste Wien in unterschiedlichen Zusammenhängen geführt werden.

Was darf an Universitäten gelesen, rezipiert, gelehrt werden? Was soll keinesfalls und was muss jedenfalls Teil der Curricula sein? Diese Fragen bestimmen seit geraumer Zeit die Debatten an den Universitäten und Colleges in den USA und in Großbritannien. Im Zentrum steht dabei die Frage, ob es so etwas wie einen Kanon, einen Kern eines Wissensbestands, geben soll oder ob ein solcher Kanon angesichts von Fragen nach Rassismus, Sexismus und generell Diskriminierung nicht vielmehr ständig zur Disposition gestellt werden müsse. Muss der bestehende Kanon unter diesen Auspizien revidiert, ja gar für nichtig erklärt werden beziehungsweise kann es einen Kanon überhaupt geben? Kanonisieren, wie es von den Autor_innen in dieser Nummer von derdiedas bildende thematisiert wird, zeigt die unterschiedlichen Zugänge dazu, was wie und warum und in welchen Kontexten gelehrt und gelernt werden soll. Ist es wirklich so, dass mit Kanonen auf den Kanon geschossen wird, wie Alice Pechriggl meint? Ein Weg, der zum Beispiel in den USA in Internetforen gewählt wird, sind sogenannte „trigger warnings“, also Warnhinweise auf mögliche Auslösereize für posttraumatische Störungen. Hier gibt es mancherorts die Forderung, diese auch an den Universitäten zu verankern, etwa wenn Studierende vor F. Scott Fitzgeralds The Great Gatsby (Frauenfeindlichkeit), Virginia Woolfs Mrs Dalloway (Anleitung zum Selbstmord) und Ovids Metamorphosen (sexuelle Aggression) gewarnt werden sollen. Immer wieder hören wir auch die Forderung, Texte sollten so abgeändert werden, dass diese keinerlei diskriminierende Begriffe, Interpretationen und Textpassagen enthalten. Malte Brinkmann (HU Berlin), Autor in dieser Ausgabe von derdiedas bildende , stellt in einem Interview mit dem Standard die Fragen: Wie soll man sich kritisch mit der jeweiligen Geschichte der Disziplin, des Fachs oder auch der Kultur auseinandersetzen, wenn die Texte selber nur noch in modifizierter Form gelesen werden dürfen? Das andere ist: Wie kann man produktiv mit Kolonialismus- oder Rassismuskritik umgehen, ohne selbst zu diskriminieren? Fragen, auf die es keine einfachen Antworten gibt und die jedenfalls in der einen oder anderen Weise in den nächsten Jahren zu diskutieren sein werden. Dies beschränkt sich selbstverständlich nicht nur auf Texte im klassischen Sinn, sondern auch auf Werke der bildenden Kunst, wie unser Coverbild von Thomas Ender verdeutlicht, welches eine der vielen Arbeiten von seiner Brasilienexpedition zu Beginn des 19. Jahrhunderts ist. Und was ist vom Bildungsauftrag öffentlicher Museen zu halten, wenn vor dem Nitsch-Museum ein Schild steht: „Kein Zutritt für Kinder und Jugendliche gemäß Niederösterreichischem Jugendschutzgesetz § 19 Abs 3“? Wovor werden hier Kinder und Jugendliche geschützt? Vor der Kunst? Vor potenziell traumatisierenden Schauerlebnissen? Oder davor, dass die Rezeption von zeitgenössischer Kunst den eigenen Standpunkt verändern könnte? Wie es im Übrigen auch – im Idealfall – das Studium an einer Universität tut. Stehen wir also kurz davor, dass vor der Inskription Warnungen ausgesprochen werden wie: „Studieren kann ihre Geisteshaltung verändern?“

Neben dem thematischen Schwerpunkt präsentieren sich in jeder Ausgabe der Zeitung auch einzelne Fachbereiche, dieses Mal ist das das Institut für Kunst und Architektur. Das Studium der Architektur hat sich in den letzten Jahren grundlegend verändert. Das Diplomstudium wurde als erstes Studium an der Akademie auf das Bologna-System von Bachelor und Master umgestellt, das System unterschiedlicher thematischer Plattformen wurde etabliert. Darüber hinaus sind BArch und MArch die bislang einzigen zweisprachigen Studien der Akademie. Vorgestellt wird in dieser Nummer weiters das Swiss-European Mobility Programme SEMP. Ausstellungskritiken und Rezensionen nehmen Bezug auf aktuelle Produktionen der Akademie, Meldungen seien es Personalia, Preise und Stipendien, ergänzen wie immer derdiedas bildende .

Die Mittelseite ist dieses Mal den Einreicher_innen des Birgit-Jürgenssen-Preises 2016 gewidmet. Dieser ist für die Akademie der bildenden Künste Wien aus mehreren Gründen ein ganz besonderer Preis. Hier werden die Förderung und Auszeichnung von Studierenden mit dem Namen einer Künstlerin verbunden, die seit den frühen 1980er-Jahren als Lehrende und als Mitglied von akademischen Gremien die Entwicklung der Akademie über Jahrzehnte entscheidend mitgeprägt hat. Birgit Jürgenssen war unter anderen am Aufbau einer wegweisenden spartenübergreifenden Arbeitsplattform im Bereich Malerei/Fotografie im Rahmen der Meisterschule Arnulf Rainer und später der Klasse Peter Kogler beteiligt, wobei ihr die Arbeit mit den Studierenden immer ein zentrales Anliegen war. Die Auszeichnung ging für das Jahr 2016 an eine erfolgreiche Nachwuchskünstlerin, die deutsch-türkische Filmemacherin, Künstlerin und Lehrerin Cana Bilir-Meier. Die Laudatio von Constanze Ruhm auf die Preisträgerin finden Sie in dieser Nummer.

Gerne möchten wir noch einmal auf MORE verweisen: Angesichts der derzeitigen Flüchtlings- und Asylwerber_innensituation sehen wir es als wichtige Aufgabe der Akademie der bildenden Künste, hier unterstützend aktiv zu werden. MORE ist eine Initiative der Österreichischen Universitätenkonferenz, die es Asylwerber_innen und Asylberechtigten ermöglicht, Kurse, Vorlesungen und künstlerische Studienangebote an österreichischen Universitäten zu besuchen, und ihnen die Gelegenheit bietet, ihr Wissen und ihre Sprachkenntnisse weiterzuentwickeln. Die Akademie der bildenden Künste Wien heißt alle MORE-Studierenden willkommen und möchte bevorzugt unbegleiteten minderjährigen Asylwerber_innen und Asylberechtigten mit Interesse für künstlerische Studien Angebote unterbreiten. Weiter Informationen dazu finden Sie unter www.akbild.ac.at auf der Startseite. Seit Herbst 2015 bietet die Akademie für rund 35 Personen an Samstagnachmittagen Workshops an, die sowohl aus kleinen künstlerischen Projekten, hauptsächlich Zeichenarbeiten, als auch aus geführten Besuchen in Museen oder Kultureinrichtungen bestehen. Bei dieser Initiative geht es vor allem darum, diesen Jugendlichen eine sinnvolle Freizeitbeschäftigung zu bieten, die sie aus dem Alltagstrott in Flüchtlingsunterkünften herausholt und sie in Räume und Gegenden in Wien führt, die sie wahrscheinlich sonst nicht so schnell kennenlernen würden. Gemeinsames künstlerisches Arbeiten erleichtert auch in vielerlei Hinsicht die Kommunikation. All jenen, die sich hier in ihrer Freizeit engagieren, sei an dieser Stelle besonders gedankt.

Der Reinerlös der heurigen CHARITY Auktion Zeitgenössische Kunst , die am 22. Jänner 2016 schon traditionsgemäß im Rahmen des Rundgangs mithilfe zahlreicher Werkspenden namhafter Künstler_innen stattfand, betrug 105.000 Euro. Danke an alle, die mitgesteigert und diesen großen Erfolg ermöglicht haben. Neben der Unterstützung für das tralalobe-Haus des Diakonie-Flüchtlingsdiensts (Schirmherrschaft Michaela Klein) (www.tralalobe.at) werden die Gelder für die Unterstützung von Studierenden verwendet, die aufgrund ihres Hintergrunds als Asylwerber_innen oder aufgrund ihrer Staatsbürgerschaft erschwerte Lebensbedingungen vorfinden. Fast die Hälfte der Studierenden der Akademie sind internationale Studierende. Diejenigen, die aus sogenannten Drittländern kommen, haben erschwerten Zugang zum Arbeitsmarkt und daher kaum die Möglichkeiten, ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Die Akademie möchte diesen Studierenden in Form von Stipendien und sozialen Förderungsmaßnahmen Unterstützung bieten. Darüber hinaus ermöglichen die Erlöse der Auktion ein Artist-in-Residence-Programm, das die Akademie für Künstler_innen aus sogenannten Drittstaaten ins Leben gerufen hat und in Kooperation mit magdas Hotel durchführt.

Am 30. April erreichte uns die traurige Nachricht, dass Gunter Damisch, dessen Leben untrennbar mit der Akademie der bildenden Künste Wien verbunden war, nach seinem Krebsleiden viel zu früh gestorben ist. Die Akademie wird ohne Gunter Damisch eine andere sein. Einen Nachruf seines Kollegen Erwin Bohatsch finden Sie in dieser Ausgabe.

Wir wünschen Ihnen eine anregende Lektüre.

Eva Blimlinger, Rektorin

Andrea B. Braidt, Vizerektorin Kunst | Forschung

Karin Riegler, Vizerektorin Lehre | Nachwuchsförderung