Was tun? Ironie, Verfremdung und Wahrsprechen in einer aus den Fugen geratenen Welt
Ein zweitägiges Symposium mit Filmvorführungen von Chto Delat, einem international bekannten Künstler- und Forscher_innenkollektiv, das 2003-2004 in St. Petersburg gegründet wurde. Die Veranstaltung wird von Mitgliedern des Kollektivs moderiert and präsentiert, und von Beiträgen von Gastredner_innen begleitet.
Ist es heute noch möglich, Kunstwerke zu schaffen, die auf Effekten der Ironie, der Verfremdung und des Sarkasmus beruhen? Ist Lachen inmitten der Katastrophe möglich? Wie ist es um das Wahrsprechen bestellt in einer Zeit, in der niemand nach Wahrheit sucht, weil sie bereits vorhanden ist und nichts als sich selbst sieht - auch wenn sie nicht mit dem offenbar Faktischen übereinstimmt? Und was ist überhaupt Offensichtlichkeit? Wie kann sokratische Ironie die pädagogische und filmische Praxis bereichern?
Chto Delat [Was tun?] ist ein Kunst-, Bildungs- und Forschungskollektiv, das sich mit dem post-sozialistischen Zustand in der aus den Fugen geratenen Welt von heute auseinandersetzt. Chto Delat wurde 2003-2004 in St. Petersburg gegründet und brachte Künstler_innen, Kritiker_innen und Philosoph_innen zusammen, um Kunst, Aktivismus und radikales Denken miteinander zu verbinden. In den zwanzig Jahren seines Bestehens hat Chto Delat eine Reihe von ästhetischen und pädagogischen Formen geschaffen und mit verschiedenen Medien gearbeitet – darunter Filme, Installationen, Fresken, Performances, öffentliche Debatten, Lernpraktiken und Publikationen.
Ironie, Groteske und Entfremdung sind in der Arbeit von Chto Delat seit der zweiten Hälfte der 2000er Jahre präsent, als das Kollektiv sich einer von Bertolt Brecht inspirierten dialektischen Ästhetik zuwandte. Heute, in einer Welt, die von extrem polarisierenden Diskursen und ressentimentgeladenen Versuchen die gegenseitige Annullierung zerrissen ist, sind sokratische Ironie und Brechtsche Verfremdung dringlicher denn je. Beide sind Ausdruck der Hoffnung auf eine andere Welt, die nicht jenen zerstörerischen Antagonismen und Kriegen unterworfen ist, wie sie von der kognitiven Maschinerie des zeitgenössischen Kapitalismus orchestiert werden. Sokratische Ironie und Brechtsche Verfremdung drücken den Wunsch aus, das kollektive Bewusstsein zu verändern, indem sie es auf die reale und drohende Katastrophe ausrichten, die den gesamten Planeten zu zerstören droht.
Die zweitägige Veranstaltung am 25. und 26. Januar, die von Mitgliedern von Chto Delat moderiert wird, ist eine Retrospektive ausgewählter Filme, des theoretischen Vokabulars und der Praktiken des Kollektivs. Die Diskussionen mit den Mitgliedern von Chto Delat (von denen sich die meisten im Exil befinden) bieten einen einzigartigen Reflexionspunkt und zeichnen ein breites Spektrum der stets neuen Wege nach, die das Kollektiv in den letzten zwanzig Jahren entwickelt hat. Eingeladene Gastredner_innen werden zum breiteren Rahmen der Diskussion beitragen, indem sie sich mit spezifischen Elementen und Aspekten der Ästhetik von Chto Delat auseinandersetzen und darlegen, wie sich die Praxis im Lauf der Zeit verändert hat, einschließlich der Frage, wie die Arbeit des Kollektivs auf die jüngsten katastrophalen Jahre, geprägt von Kriegen und politischen Sackgassen, reagiert hat.
PROGRAMM
25. Januar: Erster Tag - Filmvorführung und Diskussion mit den Mitgliedern von Chto Delat
19–19:15 h Begrüßung durch den Rektor Johan Hartle und Prof. Sabeth Buchmann (im Namen des Instituts für Kunst- und Kulturwissenschaften)
19:15–20 h Einführendes Gespräch über die Geschichte und die aktuelle Arbeit von Chto Delat (mit Mitgliedern des Kollektivs)
20–21 h Vorführung ausgewählter Kurzfilme von Chto Delat
26. Januar: Zweiter Tag - Podiumsdiskussionen
11–11:30 h Einführung in den zweiten Tag (Alexei Penzin)
11:30 h Vorführung des Films The Lessons of Dis-Content (2011)
12 h Podiumsdiskussion 1
Ironie und die Dialektik der Gleichheit in Aktion: Wahrsprechen in einer polarisierten Welt
Moderation: Alexei Penzin
Teilnehmer_innen: Oxana Timofeeva, Artemy Magun, Gerald Raunig, Alexander Koch
14 h Mittagspause
15 h Intermezzo 1:
Videofragmente von Chto Delat
15:15 h Podiumsdiskussion 2
Was ist gute Kunst?
Moderation: Dmitry Vilensky und Olga Egorova-Tsaplya
Teilnehmer_innen: Gluklya/Natalia Pershina-Yakimanskaya, Nikolay Oleynikov , Georg Schöllhammer, Maria Vilkovisky und Ruthia Jenrbekova
17 h Intermezzo 2: Videofragmente von Chto Delat
17:15 h Panel 3
Sorge, Ironie und die Pädagogik des Ausnahmezustands
Moderation: Nikolay Oleynikov
Teilnehmer_innen: Olga Schubert, Alessandra Pomarico, Elke Krasny, Nora Sternfeld, Marina Vishmidt, Olga Egorova-Tsaplya
19 h Intermezzo 3: Videofragmente von Chto Delat
19:15 - 20:30 h – Abschlussdiskussion