Skip to main content

Otto Antonia Graf (1937–2020) verstorben

Die Akademie der bildenden Künste Wien trauert um ihren langjährigen Professor für Kunstgeschichte Otto Antonia Graf (1937–2020), der 23.2.2020 im Alter von 82 Jahren friedlich verstorben ist.

Graf studierte ab 1962 an der Universität in Wien und dissertierte 1982 über Otto Wagner. Er wirkte 1964–1970 als Assistent am Museum des 20. Jahrhunderts Wien und verfasste Texte zu den dort laufenden Ausstellungen, unter anderem über Pop Art, Herbert Boeckl, Jean Dubuffet, Henry Moore, Mark Toby und Emil Nolde. Von 1971 bis 2005 lehrte Otto Antonia Graf an der Akademie der bildenden Künste in Wien und brachte mehreren Generationen von Studierenden das Wesen und die Arbeit großer Meister nahe. Der dreiteilige Band Die Kunst des Quadrats und weitere für die Kunstgeschichte wesentliche Standardwerke haben Otto Antonia Graf als „Grenzüberschreiter im Raum der Kunstwissenschaften, der Kunstphilosophie, der Spiritualität und der Geisteswissenschaften“ – wie es der der große österreichische Publizist und Kulturkritiker Friedrich Heer, bezeichnete – international bedeutend gemacht.

Die Beisetzung findet im engsten Familienkreis statt. Ein Termin für die Seelenmesse und eine Verabschiedungsfeier für Freunde und Wegbegleiter_innen wird noch bekannt gegeben.

Nachruf
(o. Univ. Prof. Dr. Otto Graf, Leiter des Instituts für Kunstgeschichte, Akademie der bildenden Künste Wien)
Otto Graf, Gelehrter, Kunsthistoriker, Kunstwissenschaftler und Schriftsteller ist am 19. Februar 2020 wenige Tage vor seinem 83. Lebensjahr verstorben. Über 30 Jahre (1971–2005) lehrte Graf an der Akademie der bildenden Künste Wien

das Fachgebiet Kunstgeschichte, viele Jahre war Otto Graf Vorstand des Instituts für Kunstgeschichte. Die Liste seiner Publikationen dokumentiert seine unglaubliche Arbeitsleistung und sein Genie. Unter seinem Autorennamen, Otto Antonia Graf (Antonia ist der Vorname seiner Ehefrau), veröffentlichte Graf grundsätzliche Werke zu Otto Wagner und Frank Lloyd Wright. Seine literarisch-philosophischen Schriften sind unter dem Titel Die Erde ist also ein edler Stern (1963–1997) erschienen. Als Kunsthistoriker galt sein Suchen der „Einheit der Kunst“ und einer „Weltgeschichte der Grundformen“ eine Suche, die Otto Graf auf mehreren tausend Seiten und mit mehreren tausend eigenen analytischen Zeichnungen dokumentierte.

Das Arbeitszimmer von Otto Graf an der Akademie der bildenden Künste Wien war genau in der Mitte des Gebäudes gelegen. Graf befand sich also in der direkten Sichtachse – und Verbindung – zu den Denkmälern von Friedrich Schiller und Wolfgang von Goethe. In dieser Sichtachse war Graf auch ein „Aufklärer“ der Kunstwissenschaft, sein wissenschaftstheoretischer Ansatz revolutionierte das Denken über die Architekturgeschichte.

Für Graf war die Architekturzeichnung von besonderer Relevanz. In der Grundriss- Zeichnung – als der konstituierenden Zeichnung eines Gebäudes – sah Graf die Schönheit und die mathematische Perfektion der Architektur. In seinem
architekturgeschichtlichen Kosmos fanden die Zeichnungen der größten spätrömischen Kirche, der Hagia Sophia, ebenso ihren Platz wie die Zeichnungen von Otto Wagner und Frank Lloyd Wright. Die zahlenmäßigen Proportionen, die
Grundformen und die Transformationen des Quadrates und des Kreises (Isiskreis) waren Grundlage seiner Untersuchungen.

Otto Graf hatte während seines Studiums an der Universität Wien Friedrich Heer kennengelernt, der Graf mit dem Denken von Pierre Teilhard de Chardin bekannt gemacht hatte. Das prägte in weiterer Folge seinen wissenschaftlichen Werdegang, den er selbst mit dem Begriff der „sanften Kunstwissenschaft“ umschrieb.

Ein Vortrag von Eduard Sekler über Frank Lloyd Wright, der 1959 verstorben war, weckte das Interesse an dessen Werk. Mit einem Stipendium verbrachte Otto Graf mit seiner Frau fast ein Jahr in Chicago (1963–1964), von wo aus sie über 100 Bauwerke von Frank Lloyd Wright besuchten. Anfang der 1960er war Graf der einzige junge Kunsthistoriker in Wien, der die Pop-Art in Amerika und die gesamten Bauten von Wright selbst kennengelernt hatte.

Während seiner Zeit (1964–1970) als Kurator am Museum des 20. Jahrhunderts (heute: „Belvedere 21“) entstanden unter anderem Ausstellung zur Pop-Kultur, zu Henry Moore und zu Jean Dubuffet. Sein Katalog zur Vergessenen Wagnerschule wurde eine international viel beachtete Publikation.

Seine Lehrtätigkeit ab 1971 an der Akademie der bildenden Künste wurde von einer intensiven Publikationstätigkeit begleitet. In 34 Jahren entstanden über 20 Bücher, die sich mit der Grundlage des Entwerfens und dem Entstehen von Architektur beschäftigten. Seine Beschreibungen von vier wichtigen Bauwerken von Frank Lloyd Wright nahmen über 700 Seiten und mehrere hundert analytische Zeichnungen in Anspruch: noch nie zuvor wurden Bauwerke mit dieser Akribie untersucht und beschrieben. Die Architekten Otto Wagner und Frank Lloyd Wright wurden durch Otto Graf neu interpretiert und in einem neuen Zusammenhang mit der gesamten Kunstgeschichte und dem Ornament gesetzt. Seine Analysen wurden zu einer eigenen Kunstform.

Im Jahr 1987–1988 organisierte die Akademie der bildenden Künste eine Otto Wagner Wander-Ausstellung mit 100 „Meisterzeichnungen“ die in den Vereinigten Staaten an vier Museen gezeigt wurde, unter anderem in New York und Los Angeles (in Kooperation mit dem Getty Center). Der Katalog von Otto Graf Masterdrawings of Otto Wagner und die ergänzende Publikation des Getty Centers über Otto Wagner: Reflections on the Raiment of Modernity waren die ersten wichtigen Publikation in englischer Sprache über Otto Wagner.

Otto Graf war ein leidenschaftlicher Lehrer und seine Vorlesungen zur Kunstgeschichte waren für alle Studierenden der Akademie verpflichtend. Unvergessen für viele Studierenden waren seine Exkursionen zu wichtigen Bauwerken: in Wien der gotische Stephansdom, in Istanbul die spätrömische Hagia Sophia (ein ganzer Tag war nur für dieses Bauwerk reserviert) und in den USA Bauwerke von Frank Lloyd Wright. Wrights humanistische Moderne war für Graf das „Gegenmodell“ zum Bauhaus.

Otto Graf war kein großer „Netzwerker“, eher ein Mensch der wenigen, aber intensiven Freundschaften: Eduard Sekler, Anthony Alofsin, Robert McCarter, Edgar Kaufmann, Peter Rauch, Robert Trevisiol und Friedrich Heer. Letzterer schrieb über Otto Graf: „...ein österreichischer Denker, ein österreichischer Zeit- (und Raum-)Kritiker, der im unzerstörbaren, immer präsenten Gastmahl der Geister, in diesem großen Symposion, als Tischgenosse von Pascal, Hamann, Lichtenberg, Lessing und eben einer guten Schar der in unserem Jahrhundert aus Österreich ausgetriebenen Geister seinen Platz hat.“

Otto Graf war ein liebender Familienmensch und hinterlässt seine Frau Antonia, zwei Töchter und ein Enkelkind.

Wir werden den GRAF sehr vermissen.

August Sarnitz
(August Sarnitz war über zehn Jahre Mitarbeiter von Otto Graf.)

Kondolenzschreiben

Die Nachricht vom Tod Otto Antonia Grafs berührt mich sehr, war er doch mein hochgeschätzter Vorgänger. Ich hatte, als ich 2004 die Professur für Kunstgeschichte der Moderne und Nachmoderne antrat, das Glück, ihn kennenlernen zu dürfen. Da es sich um eine Vorziehprofessur handelte, lehrte er noch weitere zwei Semester an der Akademie: Auch mich, indem er mir durch seine Schriften und durch persönliche Führungen Otto Wagners Architektur erschloss. Als ich nach seiner Emeritierung in sein Büro am Schillerplatz einzog, fand ich auf Wände, Möbel und Türen gezeichnete Zahlenkombinationen, die dazu dienten, seinen Besucher*innen, vor allem den Studierenden, Wagners System zu vermitteln. Das Graf'sche Denken begleitete mich somit viele Jahre lang – genauso wie sein mir auf den Weg gegebener Ratschlag, niemals an Sitzungen (jedweder Art) teilzunehmen: Diese würden nur verdummen und von der eigentlichen Arbeit ablenken. So lässt uns/ mich nicht nur sein kunst- und architekturhistorisches Vermächtnis, sondern auch sein scharfsinniger Humor Otto Antonia Graf in ebenso nachhaltiger wie lebendiger Erinnerung behalten. Seiner Familie meine tief empfundene Anteilnahme!

Sabeth Buchmann

Mein Beileid!
MagArt. Titanilla von Eisenhart R.

Otto Antonia Graf war jemand den man sicher nie vergisst.
Schon gar nicht als Student.
Seine Vorlesungen waren eine große Performance.
Er war unglaublich sympathisch und eigen.
Denkerstirn, da denk ich an ihn.
Seine Zeichnungen und Diagramme waren wunderschön.
Einen Prüfungstag lang hat er sich mit allen Studenten über
Borromini unterhalten, der sich ins Schwert gestürzt hat.
Das war die Prüfung.
Großartig.
Am Ende der Prüfung sagte er zu mir:
’Diese Akademie ist eine Anstalt für Geisteskrankheiten,
Schauen Sie, dass Sie nicht zu lang’ hier studieren!’
Dann zwinkerte er ganz kurz …
Gerade so, dass ich verstand, dass er einen Witz machte
und es auch ernst meinte.

Mein Beileid an seine Familie,
Bernhard Rappold

Prof. Otto Antonia Graf war für mich der größte Künstler an der Akademie und das hat nicht nur mit seinem unglaublichen, für mich als jungen Studenten teils nicht zu fassendem Wiissen und mit seiner Intelligenz zu tun, sondern in erster Linie mit seiner Art  Prüfungsfragen zu stellen. Kleinode, gespickt mit subversivem und liebevoll-schrägem Humor. Menschlich, liebend, wissend, daß kein Student seiner „Morphologie der Kunst“ jemals geistig folgen wird können, ohne jemals eine Spur an Überheblichkeit zur Schau zu tragen.

Ich erinnere mich an eine seiner Prüfungsfragen:

„Kennans den Klimt?“
„Ja.“
„Wos kömma in Wien denn vom Klimt sehen?“
„Zum Beispiel den Beethovenfries in der Secession.“
Er beginnt zu lachen: „Und an wen erinnert Sie dieses irrsinnig grausliche Monster mit dem Riesenschädel, dieser Affe?“
Ich dachte kurz nach: „“Tut mir leid, Herr Professor, ich weiß es nicht.“
Er: „Na, es hätte jo sein könnan, daß Sie dieses grausliche Viech jo an irgendeinen Professor von der Akademie erinnert.“
Ich: „So ein Monster ist mir bis jetzt noch nie begegnet.“
Er: „Dann homs Glück ghobt, kriegens a Sehr Gut!“

In Zeiten wo viele junge Studenten bereits angepassten Politikern gleich sich für ihren Werdegang als freischaffende Künstler wappnen, wird der Verlust von Prof. Graf als individueller Freigeist an der Akademie sehr fehlen.
Ich werde weiterhin oft an an denken und bin heute sehr traurig.

Ronald Kodritsch

Lieber Prof. Graf, liebe Familie,

in großer Trauer nehme ich Anteil am Tod von Prof. Otto Antonia Graf, der mich von Anfang bis zum Ende meines Dienstes als Direktorin von Bibliothek und Archiv der Akademie feinfühlig intellektuell und warmherzig mit vielen Geschenken für die Bibliothek begleitete.

Ich erinnere noch an die klugen und freundlichen Worte, die von Prof. Sabeth Buchman zu Ihrem Abschied ausgesprochen wurden und die bestehen bleiben.

In Erinnerung an gemeinsame glückliche Zeiten

Ihre Univ. Doz. Dr. Beatrix Bastl
Direktorin der Bibliothek und des Archivs der Akademie, 2005 bis 2016

Mein herzlichstes Beileid.
Taline Kechichian , 
Libanon

Ich lernte Otto Antonia Graf persönlich kennen, als ich als einer der beiden Studierendenvertreter in der – damals drittelparitätisch(!) besetzten – Auswahlkommission saß, welche die Leitung des damals neu gegründeten „Instututs für Bildnerische Erziehung“ bestimmen sollte. Wir Studierenden waren die einzigen, die sich die (für uns selbstverständliche) Mühe machten, vorher mit allen 6 BewerberInnen informative Gespräche zu führen. Otto Antonia Graf war der eindeutig Ungewöhnlichste von allen BewerberInnen. Wir stimmten dann für ihn, weil wir uns für die zukünftigen BE-LehrerInnen durch ihn mehr und anderes an Ausbildungsinhalten und –formen erwarteten als von den ‚gelernten‘ FachdidaktikerInnen. (Da wir mit dieser perspektivischen Ansicht auch die beiden VertreterInnen des so genannten Mittelbaus überzeugen konnten, wurden die beiden Professoren überstimmt, und Graf wurde der erste Leiter des neuen Instituts.)

Später, als ich selbst am BE-Institut einige Jahre lang Lehraufträge hatte, konnte ich mich im fortgesetzten Kontakt mit ihm – ich erinnere assoziativ vor allem seine verschmitzte Freundlichkeit, die durchaus ganz selten auch je akut von Barschheit unterbrochen war - davon überzeugen, dass die Vorausschau eingelöst worden war: Hätte denn ein ’Fachdidaktiker‘ ein Vorlesungsjahr lang „Über den Tod“ gesprochen?

Walter Stach