Der Wert einer Ausbildung
Beitrag von Wilfried Vetter, Institut für Naturwissenschaften und Technologie in der Kunst
PCR-Test, Antikörper, RNA, logarithmisch, exponentielles Wachstum, Inkubationszeit, begrenzt viruzid, Lipidmembran, Chlorit haltige Reiniger. Derlei Begriffe aus der Fachsprache naturwissenschaftlicher Bereiche sind derzeit beim Konsum von Medien häufig im Zusammenhang mit SARS-CoV-2 anzutreffen. Dabei freut mich, dass ich aufgrund meiner Ausbildung in Chemie sowie Haushalts- und Ernährungswissenschaften, zuzüglich einer Diplomarbeit im Bereich der biomedizinischen Forschung, relativ wenige Probleme habe diese zu verstehen oder mir vertrauenswürdige Informationen dazu zu besorgen. Meine Freude schwindet aber leicht wieder, wenn in Beiträgen Ausdrücke wie Corona-Bonds, Bonitätsrisikoprämie oder nichttestierte Quartalsberichte vorkommen. Ich könnte auch noch weitere Beispiele aus anderen Bereichen als der Ökonomie nennen, möchte aber aufgrund der zu erwartenden Länge der Ausführungen darauf verzichten. Interessanterweise kommen Medienberichte über die derzeitigen Probleme von Menschen mit geringen Einkommen, von denen viele im Moment als systemrelevant gelobt werden, oft mit allgemeinverständlichen Worten aus. Es wäre schön wenn sich diese anerkannte Relevanz auch in Form höherer Einkommen ausdrücken würde, denn das könnte neben einem sorgenfreieren Leben der Betroffenen auch bessere Chancen auf höhere Bildung ermöglichen – zumindest für deren Kinder.
Nun gilt das Studium eines künstlerischen Faches gemeinhin nicht als Garant für ein hohes Einkommen der Absolvent_innen und es wird häufig diskutiert, welchen Nutzen diese Fächer überhaupt haben. Dies ist bei naturwissenschaftlichen Studien weit weniger der Fall und ich könnte tatsächlich auch von meiner Seite berichten, dass mir derzeit das erworbene Wissen zu den Themen Hygiene oder Vorratshaltung und Vorratsschutz hilft, um einige Unsicherheiten zu vermindern. Es hält mich außerdem auch davon ab, verzweifelt im Internet nach Life-Hacks zu suchen, welche zum Beispiel die Herstellung von dreifach-flauschigem Klopapier aus Zimmerpflanzen zum Inhalt haben. Diesen Nutzen würden wahrscheinlich die wenigsten Menschen bestreiten, jedoch bemerke ich gerade bei mir, dass dieser nicht annähernd den Mangel an Möglichkeiten zur unmittelbaren physischen Teilnahme an künstlerischen bzw. kulturellen Veranstaltungen kompensieren kann. Da Kunst im besten Fall ermöglicht gesellschaftliche Prozesse oder Entwicklungen zu erkennen und zu reflektieren, fällt dieser Mangel in Zeiten der verordneten Beschränkungen besonders schmerzlich auf.
Die derzeitigen Beschränkungen unseres Lebens zielen darauf ab, das auch in Chemielaboren angewendete Prinzip der Expositionsprophylaxe umzusetzen. Der Imperativ lautet: Wenn es irgendwo gefährlich ist, schütze dich oder komm der Gefahr nicht zu nahe! Dies erscheint mir aufgrund der bisher bekannten Eigenschaften der Gefahr SARS-CoV-2 derzeit sinnvoll und es sieht so aus, als könnte sich ein großer Teil der in Österreich lebenden Menschen zumindest zeitlich begrenzt damit abfinden.
Über allem steht jedoch die Frage, unter welchen Bedingungen die menschliche Existenz sinnvoll erscheint, wie sie schon im Roman Brave New World von Aldous Huxley thematisiert wurde. Und gerade auf diesem Gebiet haben die Kunst und auch die Kulturwissenschaften das Potenzial, wichtige Beiträge leisten zu können. Aus diesem Grund hoffe ich, ob nun ausreichend Klopapier vorhanden ist oder nicht*, dass die Akademie bald wieder eine unbeschränkte Stätte der Vermittlung nützlichen Wissens sein wird.
* abgewandeltes Zitat aus Bunbury von Oscar Wilde