Beyond Orientation. Eight Views
Ein Projekt von Almut Rink.
Cokuratiert von Anne Eggebert.
Künstler_innen:
Margot Bannerman (GB), Ben Cain (GB), Sarah Cole (GB), Regula Dettwiler (AT), Anne Eggebert (GB), Kyoko Ebata (JP), Polly Gould (GB), Matthew Wang (SGP)
In Kooperation mit Ursula Reisenberger.
Öffnungszeiten: Montag bis Samstag, 11.00 - 19.00 h
Eröffnung: Mittwoch, 6. September 2017, 18.00 h
Es sprechen:
Ernst Nevrivy, Bezirksvorsteher des 22. Wiener Gemeindebezirkes
Michaela Glanz, Akademie der bildenden Künste Wien
Almut Rink, Projektleiterin
Opening Performances
Orientierung gibt uns eine Vorstellung von der Welt, die uns umgibt. „Beyond Orientation. Eight Views“ hinterfragt die einer Orientierung zu Grunde liegende Struktur und versucht, diese so zu erweitern und zu verschieben, dass Selbstverortung als nachhaltiger – im Sinne einer Einbeziehung aller beteiligten Elemente – und dynamischer Prozess erfahren werden kann.
Die Ausstellung „Beyond Orientation. Eight Views“ bildet den dritten Teil des Forschungsprojektes „Orientation as Gardening“ (konzipiert von der Wiener Künstlerin Almut Rink und der Autorin Carola Platzek , gefördert vom Wissenschaftsfonds) und setzt die darin entwickelte künstlerische Forschung im Rahmen einer kuratierten Gruppenausstellung im Korea Kulturhaus fort.
Das Forschungsprojekt „Orientation as Gardening“
Das zweijährige Forschungsprojekt findet im öffentlichen Raum von Tokio, London und Wien statt und untersucht, ausgehend von drei historischen Gestaltungssystemen, das Sich-Orientieren als aktive Gestaltung („Gardening“) unseres In-der-Welt-Seins:
Das Sakuteiki, ein Garten-Manual aus dem Japan des 12. Jahrhunderts, setzt neben genauer Beobachtung der Natur vom Gärtner ein Verlassen der anthropozentrischen Perspektive voraus, um „dem Bitten des Steins zu folgen“.
Die Kunstphilosophie des chinesischen Malers Shitao aus dem 17. Jahrhundert, eine daoistische Kosmologie der Malerei, leitet das Schaffen des Künstlers aus einem dem Individuum übergeordneten Impuls ab.
Das dritte Gestaltungssystem, das als Grundlage diente, ist die Gartenschule des Epikur, die vor den Toren Athens, abseits der Agora, im 3. Jhdt. v.u.Z. eine Gemeinschaft der Selbstverantwortlichkeit gründete, die abseits herrschender Normen auch für Frauen und Sklaven zugänglich war.
Orientation as Gardening, Teil 1, Tokyo
Der erste Teil des Forschungsprojektes suchte in Asien nach Konzepten nachhaltiger Orientierung und wurde damit zur wörtlichen „Ausrichtung nach Osten“. Das Grundprinzip des asiatischen Zugangs von „Situation und Potential“ enthält – im Gegensatz zum westlichen Konzept von „Plan und Ziel“ (François Jullien) – eine organische Idee der Ordnung: diese „An-Ordnung“ folgt den Gesetzen der Natur. Wie die Maserung von Holz oder die Struktur eines Schneekristalls ist es unvorhersehbar, aber keineswegs zufällig.
Assemblage Boards
Als zentrales Untersuchungswerkzeug im Projekt entwickelte Almut Rink acht Assemblage Boards. Optisch erinnern die Boards an japanische Tana-kazari, kleine handgearbeitete Regale, minimalistische, asymmetrische Strukturen, gebaut für die Präsentation von Bonsai oder Suiseki – ästhetisch ansprechende Steine – hier aber vergrößert auf menschlichen Maßstab. Im Kontext eines Parks in Tokyo dienten sie als Arbeitstool, Rahmen und Bühne in einem öffentlichen Raum, der anderen Dynamiken folgt als in Europa. In der Umkehrung von Subjekt und Objekt, Pflanze und Mensch, Stein und Betrachter fungierten die Boards als Ausgangspunkt für die Hinterfragung einer anthropozentrischen Perspektive. Durch fokussierte Wahrnehmung der physischen Erfahrung wurde Orientierung als Prozess erlebbar, der sich immer wieder neu in Bezug auf den gegenwärtigen Moment konstelliert.
Eight Views
In der chinesischen und japanischen Malerei gibt es eine Tradition des Betrachtens ein und derselben Landschaft auf acht verschiedene Arten: die Eight Views. Die Ansichten können sich in der Atmosphäre, der Tages- oder Jahreszeit, dem Standpunkt usw. unterscheiden. In ihrer Gesamtheit beziehen sie sich auf den dargestellten Raum und damit gleichzeitig auf alle anderen möglichen Ansichten, die in diesem Raum enthalten sind. Sie sind keine umfassende Darstellung eines Ortes; sie sind eine Annäherung und öffnen sich in das Unendliche um diese Ansichten, in die Leere.
Als Künstlerische Strategie wurden die Eight Views strukturgebend für das gesamte Projekt.
In ihrer Arbeit für den Zenpukuji Park wählten Almut Rink und Carola Platzek acht Standorte für die acht Assemblage Boards, die jeweils physisch mit der Struktur des Parks verbunden waren. Acht verschiedene Arbeitssituationen, jeden Tag eine andere. Acht Momente aus einer unendlichen Zahl, um sich einer Verbindung mit dem Ganzen zu nähern.
Orientation as Gardening, Teil 2, London
Im zweiten Teil ging es darum, diese Erfahrungen in einen westlichen und sehr dichten städtischen Kontext zu tragen: in das Londoner Development-Gebiet von King’s Cross in Zusammenarbeit mit der Central St Martins University of the Arts London.
Während eine nicht-anthropozentrische Perspektive in der japanischen Tradition tief verwurzelt ist und daher eine Anbindung an die Umgebung mit Hilfe der Boards verhältnismäßig einfach war, stellte sich dieser Ansatz in Europa als schwieriger heraus.
Auch wenn es im europäischen Denken zu allen Zeiten Strömungen gab, die den asiatischen Philosophien verwandt waren, blieben diese eher Nebenlinien der Tradition. Spätestens seit der Aufklärung hat sich in Europa eine Weltsicht durchgesetzt, die das menschliche Individuum ins Zentrum stellt und das westliche Denken bis heute entscheidend prägt.
Die Recherche in London bestand folglich darin, die Arbeit mit den Assemblage Boards in einem europäischen Kontext zu testen. Die respektiven Standorte erwuchsen aus einer intensiven site-spezifischen Recherche, die sich dem gentrifizierten Gebiet von King’s Cross über seine Ränder annäherte im Versuch, dort ausgeschlossene Aspekte wie Krankheit und Tod zu reintegrieren. Die Boards erwiesen sich in ihrer neuen Umgebung als schwer zugänglich, waren nur virtuell anwesend oder entzogen sich ganz.
Almut Rink setzte die Arbeit bei und auf den Boards für weitere acht Tage fort. Gleichzeitig lud Ursula Reisenberger Besucher_innen zu einem performativen Walk, der die Standorte aller Boards berührte und an je einem Punkt mit Almut Rink zusammentraf. War es in Japan darum gegangen, sich in erster Linie in der persönlichen Erfahrung einem alternativen Zugang auszusetzen, so weitete der Londoner Teil die Recherche aus und bezog die Begegnung und das Teilen mit einem Publikum ausdrücklich ein.
Beyond Orientation
Eight Views
Wien
Der abschließende Teil „Beyond Orientation. Eight Views“ bringt die in Tokyo und London gesammelten Erfahrungen mit den Boards nach Wien zurück. Almut Rink wird hier ihre Recherche fortsetzen, indem sie gemeinsam mit Anne Eggebert den Raum für den Austausch mit acht weiteren künstlerischen Positionen öffnet. Die Ausstellung wird so zum Diskurs-Raum für ein temporäres Kollektiv.
Mit seiner Lage am Stadtrand und seinem Ineinanderfließen von Natur und Architektur bietet der Korea-Pavillon dafür einen Rahmen, der an den Garten des Epikur erinnert, in dem außerhalb der gängigen Paradigmen erfahren, gedacht und gearbeitet werden konnte. Ausgehend von der antiken und von Foucault wieder entdeckten Figur der „Sorge um sich“ führt Almut Rink den in Japan begonnen Diskurs weiter und stellt die Frage nach dem ethischen Subjekt nicht als Entität, sondern als Vorgang, der immer in Beziehung steht – nicht zuletzt in einer Beziehung zu sich selbst.
Die acht Assemblage Boards werden zu unterstützenden Strukturen, die die Arbeiten wie eine Ausstellungsarchitektur rahmen und gleichzeitig in Beziehung zueinander setzen. Im Dialog mit der jeweiligen künstlerischen Arbeit passen sie sich dieser an, rahmen sie, widersprechen ihr, treten in ein spielerisches Verhältnis und werden einmal mehr zum Träger, zum Sprungbrett für den erforschenden, erfahrenden Blick. Aus der Verbindung der beiden Arbeiten entsteht ein Drittes, das den jeweiligen Moment der Begegnung absolut setzt – und sich dabei seiner Vergänglichkeit voll bewusst ist.
Ausgangspunkt für die einzelnen Arbeiten sind Fragen nach Orientierung und Kultivierung, nach Fürsorge und Beziehung, nach Autonomie und Abhängigkeit. So wird Margot Bannerman (GB) markierte Zonen in den Iris-See zeichnen, Inseln des Präkariats, fragile organische Habitate, die sich nur mit Schwimmhilfen über Wasser halten können und (nach Ernst Mach) zur Metapher des Ich als temporäre Summe von Empfindungen werden.
Ben Cain (GB) stellt in seinen Anordnungen – einem Verstärker gleich – Mikrobeziehungen auf und untersucht ebenfalls Unschärfen und Verschmelzungen in Zuordnungen wie Subjekt/Objekt, Beeinflussung/Beeinflusst-Werden, passiv/aktiv.
Sarah Cole (GB) hingegen reflektiert in ihrer Videoarbeit Erfahrungen von Isolation, Durchhaltevermögen und der Oszillation zwischen Eigen- und Fremdbestimmung am Beispiel des Berufes von Pfleger_innen, während
Regula Dettwiler (AT) von organischen Strukturen ausgeht, die sich in ihren herbarisierten Collagen zu symbolischen Landkarten psychischer Affekte formieren.
Kyoko Ebata (JP) wäscht in einer Endlosschleife japanische Flaggen, die im Kontext des Pavillons – als Ort der koreanischen Community – zum Kommentar einer schwierigen gemeinsamen Geschichte werden, gereinigt und zum Trocknen aufgehängt.
Anne Eggebert (GB) wiederum reflektiert in ihrer Arbeit das Bedürfnis nach der eigenen Verortung und Zugehörigkeit. Ausgehend von ihrem Blickfeld denkt sie Kartografierung neu als subjektive Verbindung aller gleichzeitig an einem Ort anwesenden Elemente, während
Polly Goulds (GB) Soundinstallation in Text und Ton zur sensorischen Erforschung des Pavillons wird und ihn als Wirt mit seiner inhärenten Physis und Oberfläche, als eigenständige Entität begreift.
Matthew Wang (SGP) schließlich wird einen Teil der Verbindungslinie zwischen London und Wien physisch nachzeichnen. Angewiesen auf die Fürsorge anderer, geht er zu Fuß von Berlin nach Wien zur Eröffnung der Ausstellung und wird dann in situ bleiben, um für die Arbeit der anderen Sorge zu tragen.
Ursula Reisenberger (AT), die „Beyond Orientation“ als Kooperationspartnerin begleitet, öffnet über ihr Interesse an Präsenz im Sinne einer bedingungslosen Anwesenheit einen Möglichkeitsraum, in dem sich der performative Körper als Verbindungsinstrument zum Hier und Jetzt erfahren kann.
In ihrer Gesamtheit sind die Arbeiten – ähnlich den acht Ansichten der klassischen chinesisch-japanischen Kunst – in erster Linie ein Verweis auf die Fülle der möglichen Orientierungen: Jenseits der konkreten Beispiele geht ein Raum auf, der diese zwar einschließt, aber nicht absolut setzt. In diesem Sinne greift auch das Display der Arbeiten sowohl über die Darstellung einzelner Positionen hinaus als auch über die räumlichen Grenzen des Pavillons, indem sie den umgebenden Naturraum mit einschließt.
Die Ausstellung ist so weniger geschlossene Präsentation als vielmehr offener Versuchsraum:
Ein partizipatives Feld, das „beyond“ als Vektor denkt. Wie die Assemblage Boards agiert sie als Werkzeug und Bühne, die das Verständnis des Begriffs „Mit-Welt“ verschiebt und erweitert – und diese dazu einlädt, sich zu versammeln und auszutauschen.
„ Beyond Orientation. Eight Views “ – ein Projekt von Almut Rink, cokuratiert von Anne Eggebert – ist Teil des Arts-based Research Projektes Orientation as Gardening (FWF/PEEK AR325, konzipiert von Almut Rink und Carola Platzek) gefördert vom Österreichischen Wissenschaftsfonds und durchgeführt an der Akademie der bildenden Künste Wien.